Der Graben: Thriller (German Edition)
den Mist auf, den ich zurückgelassen habe.«
Saeko übersetzte die groben Worte in die Sprache ihres Vaters:
Sae, du hast keine Zeit mehr, du musst jetzt gehen. Streng deinen Grips an, dann kannst du es schaffen. Du hast anstelle von 515 Menschen gelebt, dies ist jetzt deine Mission.
Saeko schob die Arme unter Seijis Schultern und versuchte, ihn vom Stuhl hochzuziehen. Seiji verzog das Gesicht, stöhnte vor Schmerz auf und griff sich an seine Beine.
»Hör auf! Was zum Teufel machst du da?«
»Ich lasse dich nicht hier zurück. Komm mit mir.«
»Sei nicht albern.«
»Bitte, lass mich nicht wieder allein.« Saeko gab es auf, ihn hochziehen zu wollen, und begann, an dem Stuhl selbst zu ziehen.
»Wach auf, um Himmels willen, und verschwinde hier. Ich bin nicht dein Vater, verdammt, ich bin Seiji.«
Saeko zog an dem Stuhl und kippte ihn so, dass sie ihn über den Boden ziehen konnte. Die Stuhlbeine quietschten, als sie über die Holzdielen schleiften, doch es half nichts. Er war zu schwer, und der Stuhl krachte nach hinten, sodass Seiji zu Boden stürzte und sich überschlug. Seine Beine schlugen hart auf den Dielen auf, sodass er sich auf dem Boden wand, zuckend wie ein Tausendfüßler im Todeskampf. Er kratzte mit den Nägeln über den Boden, und sein Gesicht war verzerrt von den höllischen Schmerzen.
»Ich kann nicht da durch. Selbst wenn ich es täte, würde ich nur irgendeine Missgeburt sein, nichts Halbes und nichts Ganzes. Ich habe es schon ein paarmal versucht. Ich würde nicht einmal als Mensch wiedergeboren. Schau mich genau an. Ich bin nicht der, der ich früher war. Ich habe meine Seele dem Teufel verkauft, und das hier ist alles, was übrig ist. Wenn du mich mitnimmst durch das Wurmloch, kann es sein, dass ich auf der anderen Seite als ekliges krabbelndes Insekt herauskomme. Dazu bin ich nicht bereit. Das bedeutet nichts als Schmerz. Das ist alles, was mich erwarten würde, ein endloser Kreislauf der Erniedrigung.
Bitte, Liebes, lass mich das beenden. Lass mich los. Und du, geh jetzt, allein.«
Saeko schaute auf den Mann hinunter, der ihr Vater gewesen und dann zu Seiji geworden war. Er sah beinahe aus, als wäre er im Frieden mit allem. Er hatte es in der Hand gehabt, Kota seiner Macht zu berauben, Gutes in diese Welt zu bringen, doch seine Bindung an sie hatte ihn daran gehindert. Er musste erleichtert sein, dass er bald von seiner Strafe befreit würde, wenn er es zuließ, dass die Welt einstürzte. Er wollte den Kreislauf von Leben und Tod überwinden, das Erleiden eines Abstiegs nach dem anderen. Wenn er all seine Bindungen gelöst hatte, würde er ins Nirvana eingehen. Er begrüßte den Phasenübergang mit all seinen Konsequenzen.
»Verdammt, jetzt geh schon. Das Ganze…« Er verstummte.
»Papa…« Unfähig, eine Entscheidung zu treffen, stand Saeko da und schaute hilflos auf die zusammengesunkene Gestalt zu ihren Füßen.
»Beeil dich, mach schon. Du findest einen Platz, an dem es dir gut geht, ich bin mir sicher. Hol einfach das Beste aus dir heraus.«
Kraft durchströmte Saekos Körper.
Hol einfach das Beste aus dir heraus.
Wieder die Worte ihres Vaters. Sie hatte sie so oft gehört.
»Also gut. Ich gehe.«
Sie kniete nieder und streckte die Hand aus, um ihm vom Boden aufzuhelfen, doch er schlug sie heftig weg. »Beeil dich, los!«
Dann lag er still, als ob er schliefe. Für den Bruchteil einer Sekunde erinnerte sein Schlangengesicht Saeko an die Statue eines erleuchteten Bodhisattva.
Unbeholfen stand sie auf und machte Anstalten zu gehen, mit schweren Schritten. Als sie im Flur war, drehte sie sich um. »Auf Wiedersehen, Papa.«
Kaum hatte sie dies gesagt, stürzte sie zur Türschwelle und verließ das Haus. Das Sternenlicht war fast vollständig vom Himmel verschwunden, und es war merklich finsterer als zuvor.
In der Dunkelheit suchte Saeko ihren Wagen. Es herrschte eisige Stille, deren Kälte ihr unter die Haut kroch. Schlimmer als der Frost war jedoch, dass die Ruhe ihr die Luft abschnürte.
Sie wühlte in ihrer Tasche nach den Autoschlüsseln und drückte auf den Knopf zum Entriegeln. Die orangefarbenen Blinklichter leuchteten einmal auf, zweimal, keine zehn Meter vor ihr.
Gerade als sie einen letzten Blick zum Haus der Fujimuras hinaufwarf, ging das Licht im Wohnzimmer aus, und das ganze Gebäude wurde von der Dunkelheit verschluckt. Saeko stieg ins Auto und drehte den Schlüssel im Zündschloss um.
Sie lehnte sich im Sitz zurück und atmete tief ein. Dann
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