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Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
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schüttelte sie alles Zögern ab und fuhr den Berg hinunter.
    54
    In dreißig Minuten würde Mitternacht sein. Auf der Straße von Akiba herrschte selbst mitten am Tag kaum Verkehr, und seit ihrer Abfahrt war Saeko keinem Wagen begegnet. Die Fahrzeit zu dem Pass betrug nur zehn Minuten.
    Der Bungui-Pass lag inmitten bewaldeter Berge, unmittelbar westlich des Senjogatake, dem Herzen von Japans südlichen Alpen. Zu beiden Seiten der Straße ragten die Gebirgshänge auf und verschmolzen mit dem Nachthimmel, doch es war nicht stockfinster. Selbst ohne die Scheinwerfer war der Parkplatz in Licht getaucht und oberhalb vor ihr deutlich sichtbar. Fünf Lichtstreifen stiegen hinter dem Berg auf wie Heiligenscheine, woher auch immer sie kamen. Sie waren nicht schmal und grell, vielmehr sanft und beruhigend.
    Saeko schaltete die Scheinwerfer und den Motor aus. Sie schaute geradeaus und wartete darauf, dass ihre Augen sich an das ätherische Zwielicht gewöhnten.
    Ein Schild an der Seite der Lichtung wies auf einen schmalen Fußweg hin, der nur zwanzig Meter weiter zum Nullpunkt des Magnetfelds führte. Viele Leute glaubten, aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften besitze der Ort besondere Heilkräfte, und bei schönem Wetter standen Leute mit unheilbaren Krankheiten hier Schlange. Stundenlang harrten sie aus und hofften, irgendwie von den einzigartigen Kräften des Nullpunkts zu profitieren.
    Saeko war mit einem konkreteren Ziel hergekommen. Was auch immer jetzt geschah, sie musste in eine neue Welt übergehen. Dort warteten zweifellos Aufgaben auf sie, und sie würde das Beste aus sich herausholen, um sie zu bewältigen. Da sie um einen so hohen Preis überlebt hatte, war dies ihre Mission und ihre einzige Möglichkeit, ihrem Vater noch etwas Gutes zu tun.
    Sie stieg aus dem Mietwagen und machte sich auf den Weg durch das Unterholz. Nach kurzer Zeit gelangte sie zu einer kleinen Lichtung am Hang. Um diese nächtliche Uhrzeit war natürlich kein Mensch zu sehen. Auf der Lichtung standen nur ein paar schlichte Bänke aus Brettern. Saeko setzte sich auf eine, und ihr Blick folgte wie von selbst den Konturen des tiefen Tals, das sich unterhalb von ihr erstreckte.
    Unterhalb einer von Gebirgskämmen gekrönten Landschaft konnte Saeko die Lichter von Takato erkennen. Heute war Weihnachten, und viele Menschen würden noch auf sein. Doch in diesem Jahr würden sie an alles andere denken als an Weihnachten. Stattdessen würden sie an ihren Fernsehern kleben und gebannt jede Nachricht über die seltsamen Phänomene verfolgen. Sie begriffen, dass Sterne verschwanden und die Erde aufriss wie nie zuvor, doch nicht, dass die Welt nur noch ein paar Stunden lang existieren würde.
    Saeko wartete allein auf der stillen Lichtung, auf der sie die eisige Gebirgsluft umfing. Am Nullpunkt des Magnetfelds wuchsen nur wenige Bäume, sodass sie aufschauen und die Sterne zählen konnte – im wahrsten Sinne des Wortes, so sehr hatte ihre Zahl sich verringert.
    Sie hatte gelernt, mit dem Alleinsein fertigzuwerden, nachdem sie mit siebzehn Jahren ihren Vater verloren hatte, doch irgendwie empfand sie auf dieser freien Fläche in den Bergen ihre Einsamkeit noch tiefer. Länger als eine Stunde würde sie das nicht aushalten.
    Genau in diesem Moment zerriss das Klingeln ihres Handys die Stille. Sie schaute auf das Display, um den Namen des Anrufers zu lesen – Hashiba. Mit einer gewissen Verzweiflung nahm sie den Anruf entgegen.
    Die Stimme war wohl Hashibas, aber sie klang dennoch anders, beinahe anhänglich. Von Zeit zu Zeit schluchzte er auf, sodass unmöglich zu verstehen war, was er sagte. Es gelang ihr nur, ein paar Worte aufzuschnappen: Machu Picchu, Teufel.
    »Wo bist du? Was ist bei euch los?«
    Er klang so fix und fertig, dass sie ihre eigene Lage vergaß und spürte, dass sie ihn retten musste, was immer es auch war, das ihn so erschütterte. Sie erinnerte sich, wie dankbar sie gewesen war, als er sie im Krankhaus in Ina besucht hatte, wie sehr sie das ermutigt hatte.
    »Aaah… Was soll ich nur tun? Ich…«
    Endlich wurde seine schwache Stimme etwas klarer. Saeko konnte die Geräusche einer Menschenmenge im Hintergrund ausmachen. Vermutlich schirmte er das Telefon mit der Hand ab, konnte den Lärm jedoch nicht vollständig ausblenden. Sie hörte Frauenstimmen, und auch Kinder schienen dort zu sein. Sofort wurde Saeko klar, was dort vor sich ging: Hashiba und das Team waren in den Kräutergärten, und sie hatten ihre Familien und Freunde

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