Der Graben: Thriller (German Edition)
verstrich die Zeit zum Auschecken, ohne dass Mizuho Takayama am Empfang erschien. Die Rezeptionistin hatte in ihrem Zimmer angerufen, doch es hatte niemand abgenommen. Beunruhigt waren die Hotelangestellten ins Zimmer gegangen, hatten jedoch niemanden darin gefunden. Mizuho Takayamas Tasche stand auf ihrem Nachttisch, und eine dünne Jacke hing im Kleiderschrank. Beim Verlassen ihres Hauses am Vortag hatte sie dieselbe Jacke und ein ärmelloses Top getragen, sodass es nicht schwer war, zu kombinieren, was sie zum Zeitpunkt ihres Verschwindens angehabt hatte. Eine Jeanshose und ein beigefarbenes ärmelloses Top. Die Badewanne war voll Wasser, doch sie schien nicht benutzt worden zu sein; es fanden sich keine Haare und keine Rückstände von Schmutz oder Hautschüppchen, und das Badetuch war noch gefaltet und unberührt. Im Bett hatte niemand geschlafen, und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass ein Eindringling im Zimmer gewesen war.
Welche Möglichkeiten blieben also? Ein plausibles Szenario ließ sich ohne Weiteres vorstellen.
Nach dem Einchecken im Hotel hatte Mizuho die Jacke ausgezogen und aufgehängt. Der Spätsommer war in jenem Jahr sehr heiß, sodass sie vermutlich verschwitzt war. Da sie gerne baden wollte, ließ sie Wasser in die Wanne laufen, doch sie war von irgendetwas unterbrochen worden.
Von einem Klopfen an der Tür zum Beispiel.
Im Geiste ging Kitazawa unendlich viele Möglichkeiten durch. Vielleicht war ein unerwarteter Besucher an die Tür gekommen und hatte Mizuho Takayama dazu gebracht, den Wasserhahn zuzudrehen und nur mit ihrer Geldbörse und dem Zimmerschlüssel fortzugehen.
Und dann war sie verschleppt worden.
Da es im Hotel keinerlei Aufruhr gegeben hatte, war ihr der Besucher vielleicht bekannt gewesen. Möglicherweise hatten sie bereits vor Mizuhos Abreise aus Tokio verabredet, sich zu treffen.
Womöglich ein heimlicher Liebhaber.
Das war durchaus denkbar. Vielleicht traf sie sich mit einem verheirateten Mann, und beide hatten Geschäftsreisen organisiert, um eine Nacht miteinander verbringen zu können. Doch als sie abends zusammen aus waren, war irgendetwas schiefgegangen. Mizuho hatte verkündet, sie sei schwanger, und darauf bestanden, dass er seine Frau verließ… In die Ecke getrieben hatte der Mann Panik bekommen, die Beherrschung verloren und…
Kitazawa konnte sich die Szene gut vorstellen. Es klang wie die Geschichte aus einer Talkshow, doch er hütete sich, diese Möglichkeit auszuschließen. Verbrechen aus Leidenschaft waren eine der Hauptursachen, die hinter Vermisstenfällen steckten, übertroffen lediglich von Schuldenproblemen.
Auf jeden Fall würde er Mizuho Takayamas soziale Kontakte überprüfen, doch er hatte seine Zweifel daran, ob sie tatsächlich ein Rendezvous in dem Business-Hotel geplant hatte. Immerhin hatte sie ein Einzelzimmer genommen, erinnerte er sich.
Doch selbst die Einzelzimmer haben französische Betten. Vielleicht genau das Richtige für ein Liebespärchen mit knappem Budget.
Immer noch unschlüssig entschied Kitazawa, in seinem Zimmer einzuchecken. Er stand vom Sofa auf und ging zur Rezeption hinüber, um die Papiere auszufüllen. Er bat um ein Einzelzimmer wie das, in dem Mizuho Takayama abgestiegen war.
Als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete, gab Kitazawa sich alle Mühe, sich in eine junge Frau hineinzuversetzen.
Letztes Jahr am 13. September um kurz nach sechs Uhr abends hatte Mizuho Takayama in einem Zimmer genau wie diesem eingecheckt.
Kitazawa zog den Mantel aus und hängte ihn in den Kleiderschrank. Dann ging er ins Bad und begann, Wasser in die Wanne einzulassen. Er schaute zu, wie die Wanne sich langsam füllte. Als das Personal am nächsten Morgen ins Zimmer gekommen war, war das Wasser ganz kalt und die Wanne nur halb voll gewesen.
Irgendetwas ist ihr eingefallen, sodass sie das Wasser abgedreht hat, bevor die Wanne voll war.
Kitazawa schaute sich im Bad um. Es war ein kleiner zweckmäßiger Raum, ganz in Creme gehalten. Vor dem Spiegel befand sich eine Ablage, doch sie war leer. Die Spender für Shampoo und Seife waren direkt an der Wand montiert. Das Bad war nur mit dem Nötigsten ausgestattet.
Vielleicht wollte sie gerade ihr Bad nehmen, als sie merkte, dass ihr noch etwas fehlte. Etwas, das sie an der Rezeption nicht bekommen konnte. Wie Make-up-Entferner, Körperlotion oder Hygieneartikel…
Ohne nachzudenken drehte Kitazawa die Wasserhähne zu. Ihm war eingefallen, dass in der Akte, die Saeko ihm gegeben
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