Der Graben: Thriller (German Edition)
Hashiba beide kannten, vor ihren Augen zu Tode stürzen würde. Zum anderen hatten sie von ihrem Standort unmöglich sein Gesicht sehen können. Woher sollte Saeko also wissen, wer der Mann war?
Doch als er sah, dass Saeko vor Angst zitterte, wusste Hashiba nicht, was er denken sollte. Der Trainingsanzug des Mannes war ihm in der Tat bekannt vorgekommen. Und selbst von hinten hatte die Gestalt irgendwie Ähnlichkeit mit Seiji Fujimura gehabt.
Die Sirene eines Krankenwagens zerriss die Stille, zuerst aus weiter Entfernung, dann immer näher.
»Ich gehe mal nachsehen«, sagte Hashiba.
Die Bar, in der sie saßen, war nur wenige Hundert Meter vom Schauplatz des Sturzes entfernt. Wenn er rannte, würde Hashiba noch vor dem Krankenwagen dort sein. Vielleicht würde er die Identität des Mannes bestätigen können.
Auch Saeko wollte die Wahrheit wissen. Noch vor wenigen Augenblicken war sie so außer sich gewesen, dass sie vom Ort des Geschehens nur weggewollt hatte. Nun, da sie sich ein wenig beruhigt hatte, wollte sie der Sache auf den Grund gehen.
Bitte, lass es nur meine Einbildung sein…
Saeko hoffte, dass sie sich irgendwie geirrt hatte. Der Gedanke, dass ihre bizarre Vision womöglich der Wirklichkeit entsprach, gefiel ihr gar nicht. Schon gar nicht, wenn diese Wirklichkeit mit Seiji Fujimura zu tun hatte.
Sie erinnerte sich immer noch lebhaft daran, wie sie sich im Krankenhaus von Ina gefühlt hatte, als sie mitten in der Nacht gespürt hatte, dass jemand sich an ihr Bett heranschlich, und wie entgeistert sie gewesen war, als ihr klar wurde, dass es Seiji Fujimura war. Während sie erneut daran dachte, wie er ihre Brust abgetastet hatte, war ihr plötzlich, als würden Hunderte Regenwürmer über ihren Körper kriechen. Der Schlüssel zum Haus der Fujimuras, den Seiji ihr gegeben hatte, war warm von seinem Körper und feucht vom Schweiß seiner Hand gewesen. Sie hatte ihn immer noch in der Handtasche, eingewickelt in ein Papiertaschentuch.
Schaudernd versuchte Saeko, die widerliche Vorstellung abzuschütteln.
Heute Nacht will ich nicht allein sein . Das wurde ihr plötzlich klar. Sie hatte keinerlei Bedürfnis, noch eine Nacht so einsam und verstört zu verbringen wie im Krankenhaus. Sie wollte Gesellschaft, selbst ihr Exmann würde ihr genügen. Wenn sie in ihrem derzeitigen Zustand versuchte, allein zu schlafen, würde sie Wirklichkeit und Albtraum nicht voneinander trennen können, das wusste sie. Sie wäre Seiji Fujimuras hilfloses Opfer…
Bitte…
Gerade als Saeko sich das Gesicht des Mannes vorstellte, den sie in dieser Nacht am liebsten an ihrer Seite hätte, tauchte er in der Tür zur Bar auf. Weniger als vier Minuten waren vergangen, seit er hinausgestürmt war.
Hashiba sah fassungslos aus, als er auf den Tresen zukam und lahm eine Hand auf seinen Barhocker legte. »Sie hatten recht«, sagte er.
Instinktiv schloss Saeko die Augen. Trotz ihrer inbrünstigen Gebete wurde ihre bizarre Vision damit durch einen weiteren Zeugen bestätigt.
Verstört berichtete Hashiba, was er gerade gesehen hatte. Doch Saeko hörte nicht zu. Das war nicht nötig. Sie erinnerte sich – die gebrochenen Beine, die in unnatürlichem Winkel abstanden, die beiden Handflächen, die sie in ihrem krampfhaften Zucken zu sich zu winken schienen.
Mit immer noch fest zugekniffenen Augen tastete Saeko auf dem Tresen nach ihrem Drink. Als sie ihn gefunden hatte, kippte sie den Rest ihres Rums auf einmal hinunter. Nur die Eiswürfel blieben mit kaltem Klirren im Glas zurück.
Hashiba fuhr fort. »Derzeit gibt es keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung. Wahrscheinlich hatte Seiji Fujimura es satt, vor seinen Gläubigern davonzulaufen, und hat sich in seiner Verzweiflung vom Dach eines Gebäudes gestürzt. Sie konnten noch nicht sagen, ob er durchkommt, aber sein Zustand ist zweifellos kritisch.«
Saeko ließ ihr Glas los und streckte langsam den Arm zu Hashibas Barhocker aus, um seine Hand zu drücken. Ihre Hand, die kühl und feucht von ihrem Glas war, fand sich rasch in Hashibas Wärme eingehüllt. Er reagierte, indem er mit den Fingerspitzen zart zwischen ihren Fingern entlangstrich.
Diese Hand will ich heute Nacht nicht mehr loslassen.
Saeko verschränkte die Finger eng mit denen Hashibas; für eine Frau war ihr Griff erstaunlich fest.
24
Als Saeko an jenem Abend seine Hand so fest in die ihre nahm, ahnte Hashiba, dass er am Ende vielleicht die Nacht mit ihr verbringen würde. Doch während sie ihn mit sich zog, war
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