Der Graben: Thriller (German Edition)
angehabt haben, als er die streunenden Tiere getötet hat , dachte ich. Genau in dem Moment, als ich den Ball nehmen wollte, schob sich ein Paar schmutziger Füße in die Sandalen. Zehen und Fußrücken waren käsig-weiß, und die Zehennägel von beiden kleinen Zehen waren total verhutzelt. Unter einem unorde ntlichen Kimono ragten zwei Knöchel hervor; genau auf dem hervorspringenden Höcker des einen befand sich ein riesiges Muttermal. Ich schaute auf, so voller Angst, dass ich nicht einmal sprechen konnte.
Da stand er im schummrigen Licht des Eingangs, genau wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Er trug einen schäbigen Kimono, und sein Gesicht war matt und leblos. Er stierte vor sich hin, und sein Kiefer bewegte sich auf und ab, als wollte er etwas sagen. Essensreste sabberten heraus. Zum ersten und letzten Mal in meinem Leben versagten die Beine mir ihren Dienst. Ich sackte zu Boden und landete auf dem Hintern; ich konnte mich gerade noch mit den Händen hinter mir abstützen. Meine Kehle war wie zugeschnürt, sodass ich keinen Ton herausbrachte, um meinen Freund zu rufen.
Der Alte hob einen Fuß und kickte den Ball zu mir. Er rollte genau in meine Hand. Irgendwie schaffte ich es, ihn aufzuheben und rückwärts aus der Hütte zu kriechen. Dann rannte ich los, stolpernd, raus in den Hof, wo mein Freund wartete. Da war mir längst egal, ob ich dabei cool aussah. Mir war auch schnuppe, ob mich jemand ein Weichei nannte. Ich sank auf alle viere ins Gras und keuchte wie ein Tier.
Mein Freund kniete sich neben mich. ›Was ist los?‹, fragte er. Sein Grinsen war verschwunden, auch die arrogante Miene. Er schien sogar irgendwie verängstigt zu sein, als er mir die Hand auf die Schulter legte.
›Ich… ich hab deinen Großvater gesehen‹, brachte ich schließlich heraus.
Mein Freund schaute zu der alten Hütte hinüber und schwieg einen Moment. Dann sagte er: ›Das kann nicht sein.‹
›Er hat mir mit der Spitze seiner Sandale den Ball zugestoßen!‹, beharrte ich und warf ihm zum Beweis den Ball hin.
›Das kann nicht sein!‹ wiederholte mein Freund noch entschiedener.
Ich verstand nicht. ›Wie meinst du das?‹, fragte ich.
›Es gibt ihn überhaupt nicht. Das war alles nur erfunden.‹
›Was redest du denn da?‹
›Mein Großvater ist gestorben, lange bevor ich zur Welt kam. Den Schuppen benutzen wir als Abstellraum. Es wohnt niemand darin‹, erklärte mein Freund.
Er entschuldigte sich dafür, dass er mich angelogen hatte, und erklärte, wie es dazu gekommen war. Als er noch in den Kindergarten ging, kamen oft Freunde zum Spielen zu ihm. Sie dachten immer, der Schuppen wäre ein riesiges Spielhaus und brachten darin alles durcheinander. Es waren aber auch wertvolle Keramiktöpfe und Ähnliches in dem Schuppen gelagert, und sein Vater hatte ihm gesagt: ›Du darfst gerne Freunde zum Spielen einladen, aber ich möchte nicht, dass ihr Kinder euch in dem Schuppen herumtreibt. Wenn jemals einer von den Keramiktöpfen kaputtgeht, müsst ihr ihn bezahlen.‹
In seiner Verzweiflung kam mein Freund auf die Idee, so zu tun, als lebte sein Großvater in dem Schuppen. Er dachte sich, so könnte er seine Freunde am besten davon fernhalten. Zuerst war es nur eine einfache Lüge, aber mit der Zeit schmückte er das Ganze weiter aus und fügte Details über die Schrullen seines Großvaters hinzu. Dabei übertrieb er immer mehr, sodass der alte Mann schließlich ein unheimlicher Typ zu sein schien. Binnen Kurzem hatte mein Freund die perfekte Vogelscheuche konstruiert, um seine frechen Spielkameraden davon abzuhalten, den Schuppen zu erkunden.
Als mein Freund mit seiner Erklärung fertig war, gingen wir langsam zu der Hütte hinüber. Wir mussten uns natürlich vergewissern, dass wirklich kein alter Mann darin war. In diesem Moment hatte mein Freund, glaube ich, größere Angst als ich, denn mir dämmerte wohl schon, was ich da erlebt hatte.
Es war niemand in dem Schuppen. Mein Freund und ich spähten durch die Tür und lauschten, doch wir hörten nichts. Es standen auch keine Holzsandalen dort. Es hatte eine gewisse Komik, zu sehen, welche Angst mein Freund vor dem Gespenst empfand, das er selbst erfunden hatte…«
Hashiba stand gegen die Wand gelehnt, doch als er seine Geschichte beendet hatte, richtete er sich auf und legte eine Hand an die Wand genau neben Saekos Kopf.
»Weißt du, was ich glaube? Zweieinhalb Jahre lang hatte ich keinen Zweifel an der Geschichte von dem Großvater in dem Schuppen
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