Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
Vom Netzwerk:
eingenommen. Die Aluminiumregale erstreckten sich in fünf Reihen von der Wand neben der Tür bis hin zu den Fenstern. Sie waren in doppelter Reihe mit Büchern vollgestopft, und dadurch, dass sie so dicht an dicht standen, wirkte selbst dieser große Raum erdrückend eng. Die Menge an Büchern, von denen das Zimmer überquoll, erschlug einen förmlich.
    Die Morgensonne schien zwischen den grünen Kunststofflamellen der Jalousien vor den Fenstern herein und tauchte alles im Raum in einen grünen Schimmer. Hashiba trat ein. »War dein Vater Schriftsteller?«
    »Hm, nicht ganz…« Saeko schlängelte sich zwischen den Regalen hindurch zu den Fenstern, zog die Jalousien hoch und öffnete die Schiebefenster. Sofort strömten kalte Luft und Sonnenlicht herein. Als die Luft im Raum sich veränderte, begannen die stehen gebliebenen Zeiger der Uhr der Zeit wieder weiterzuwandern.
    Am gegenüberliegenden Ende des L-förmigen Zimmers befand sich der Arbeitsplatz ihres Vaters; sein Schreibtisch war von der Tür aus nicht zu sehen. Ganz am anderen Ende stand ein Schlafsofa, das er für seine Nickerchen benutzt hatte. Saeko hatte das Gefühl, jeden Moment müsste der Lederstuhl ihres Vaters knarren und sich zu ihnen herumdrehen, sodass die Beine ihres Vaters um die Ecke der Wand lugten.
    Immer wenn Saeko das Zimmer betrat, hatte ihr Vater sich auf seinem Lederstuhl weit zurückgelehnt, um zur Tür zu spähen. Wenn er Saeko erblickte, drehte er sich mit dem Drehstuhl herum und stand auf. Ganz gleich wie vertieft er in seine Arbeit war, er freute sich immer, wenn seine Tochter zu ihm kam. Da sie das wusste, achtete Saeko stets darauf, nicht ohne guten Grund zu ihm zu kommen. Sie wollte ihren Vater nicht bei der Arbeit stören, wenn es nicht unbedingt nötig war.
    Hashiba überließ Saeko ihren Erinnerungen und schritt unterdessen ein paarmal im Raum auf und ab. Er versuchte, ein Gespür für dessen früheren Bewohner zu bekommen.
    »Was hat dein Vater gemacht?«, fragte er nochmals.
    Hashibas Stimme schien von weit weg zu kommen. Immer wenn Saeko mit jemandem über ihren Vater sprach, kam ihre eigene Stimme ihr ganz fremd vor. Sie klang wie das Sausen im Ohr, wenn man gähnte – als würde ein Rolltor ihr Innenohr abriegeln und einen engen Durchgang zu einem anderen Ort öffnen. Wenn ihr Vater tot wäre, würde sie sich vermutlich anders fühlen. Doch da nicht auszuschließen war, dass er irgendwo noch am Leben war, verspürte Saeko das Bedürfnis, den engen Durchgang zu jenem unbekannten Ort frei zu halten.
    Wenn sie mit Hashiba über ihren Vater sprach, war es, als würde jemand anderes reden. Wenn sie es sich recht überlegte, wusste niemand, wer ihr Vater wirklich war. Saekos Bild von ihm stand in krassem Gegensatz zu der Art, wie seine Angestellten ihn sahen. Aus Saekos Sicht war er freundlich, liebevoll und nett. Für seine Untergebenen dagegen war er ein Unmensch, der sich über den kleinsten Fehler maßlos aufregte. Beides waren akkurate Darstellungen verschiedener Seiten seines Charakters. Saeko konnte ihn Hashiba nur so beschreiben, wie sie ihn gekannt hatte.
    Saekos Vater Shinichiro Kuriyama war insofern ein seltenes Exemplar gewesen, als er die Eigenschaften sowohl eines Wissenschaftlers als auch eines Geschäftsmanns besessen hatte, Eigenschaften, die oft als gegensätzlich gelten. Anstatt sich systematisch in einem Feld zu spezialisieren, hatte er sich für alles unter der Sonne interessiert, von Mathematik, Physik, Philosophie und Astronomie bis hin zu Evolution, Biologie, Soziologie, Religion, Astrologie, Geschichte, Archäologie und Psychologie. Da er sich auf all diesen Gebieten ziemlich gut auskannte, konnte man ihn wahrscheinlich am besten als Naturgeschichtler bezeichnen.
    Als Student hatte er einen Abschluss in Mathematik erworben, im Aufbaustudium jedoch ins philosophische Fach gewechselt. Dank des Stipendiums eines Zeitungsverlages hatte er in Europa studiert, und genau dort war er auf das Buch gestoßen, das sein Leben verändern sollte.
    In dem Sommer, in dem er vierundzwanzig war, fiel es ihm in einer Buchhandlung im britischen Oxford zufällig in die Hände. Es hieß Die gefiederte Schlange .
    Tatsächlich erwarb Shinichiro das Buch schließlich nur aus Versehen. Aufgrund des Titels hatte er es für den gleichnamigen Roman von D. H. Lawrence gehalten und zur Kasse mitgenommen, ohne es auch nur durchzublättern. Der Name des Autors stand in winzig kleinen Buchstaben unter dem Titel: O. H. Wolles – ein

Weitere Kostenlose Bücher