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Der Graben: Thriller (German Edition)

Der Graben: Thriller (German Edition)

Titel: Der Graben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kôji Suzuki
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abgesperrt, nachdem sie geheiratet hatte und ihr Mann bei ihr eingezogen war. Nach ihrer Scheidung war sie noch nicht auf die Idee gekommen, es aufzuschließen. Die 500-Quadratmeter-Wohnung hatte Wohnzimmer, Esszimmer und sechs Schlafzimmer. Einen der Räume verschlossen zu lassen bedeutete, schneller mit dem Putzen fertig zu werden.
    Hashiba dieses Zimmer zu zeigen war der schnellste Weg, ihm zu erklären, wer ihr Vater gewesen war. Die Ärmel von Saekos weitem Pyjama waren so lang, dass sie ihr bis über die Fingerspitzen reichten, als sie den Schlüsselring mit dem einzelnen Schlüssel hochhielt und langsam vor Hashiba hin und her schwenkte.
    »Das war das Arbeitszimmer meines Vaters.«
    »Du hast es immer abgeschlossen?«
    »Mein Exmann wollte es so.«
    »Warum?«
    »Es hat ihn genervt, schätze ich, dass mein Vater in unserem Leben so präsent war. Deshalb wollte er, dass ich das Zimmer abgeschlossen lasse. So hat er es jedenfalls gesagt.« Saeko ließ den Schlüssel um den Finger kreisen wie ein Revolverschütze seine Waffe.
    Vielleicht hätte ihre Ehe länger gehalten, wenn sie in eine andere Wohnung gezogen wären. Ihr Mann hatte das ein paarmal vorgeschlagen. Oft hatte er sich beschwert, die Atmosphäre in der Wohnung sei irgendwie unheimlich, schwer zu beschreiben. Doch Saeko konnte das Zuhause, in dem sie mit ihrem Vater gewohnt hatte, nicht aufgeben, denn dann hätte sie sich eingestehen müssen, dass er nicht zurückkommen würde.
    »Das ist abartig. Das mit euch beiden ist irgendwie nicht normal.« Mit euch beiden , hatte er gesagt und dabei auf Saeko gezeigt. Er meinte Saeko und ihren Vater. In Saekos Augen war ihr Mann der Seltsame gewesen. Rückblickend jedoch waren vielleicht wirklich sie und ihr Vater nicht normal gewesen.
    Sie wünschte sich nichts mehr, als dass Hashiba ihr gegenüber nicht so empfand.
    »Ich glaube, ich kann das verstehen«, murmelte Hashiba halb in Gedanken versunken.
    Saeko war gerade dabei, die Tür aufzuschließen, als er das sagte. Sie erstarrte und drehte sich zu ihm um, in der irrigen Annahme, er hätte ein gewisses Mitgefühl mit ihrem Exmann zum Ausdruck gebracht. »Wieso das denn?«, wollte sie wissen.
    »Na ja, manchmal empfinden wir die Gegenwart eines Menschen umso stärker, wenn er gar nicht da ist. Das ist ähnlich wie bei den Vermisstenfällen, die wir untersucht haben«, erwiderte Hashiba.
    Daraufhin begann er von einem Erlebnis zu erzählen, das er als Grundschüler gehabt hatte. Saeko lehnte sich an die Tür und hörte zu.
    »Ich bin in Mishima in der Präfektur Shizuoka geboren und war noch ein Baby, als wir nach Mitaka, Tokio, gezogen sind. Als ich in der vierten Klasse war, sind wir zurück nach Mishima. Dort bin ich im September auf die Schule gekommen, gleich zu Beginn des neuen Schuljahres nach den Sommerferien. An meinem ersten Tag musste ich vorne vor der Klasse stehen und mich selbst vorstellen. In der Pause kam ein Junge mit feinen Gesichtszügen und blasser Haut zu mir und legte den Arm um mich, als wären wir alte Freunde. Es schien ihn zu faszinieren, dass ich aus Tokio kam, und er stellte mir unaufhörlich Fragen über das Leben in der Großstadt. Ich gab ihm Antwort, so gut ich konnte, und ehe ich mich versah, lud er mich zu sich nach Hause ein, um ein bisschen rumzuhängen. Er kam mir etwas seltsam vor, aber ich war neu und hatte keine Freunde, also bin ich am gleichen Tag nach der Schule seiner Einladung gefolgt.
    Sein Elternhaus lag in einer ruhigen Wohngegend hinter dem Mishima-Taisha-Schrein. Das Haupthaus war ein recht neues, im westlichen Stil erbautes zweistöckiges Gebäude. Aber auf dem gleichen Grundstück befand sich vor dem Haus noch eine einstöckige alte Baracke. Ringsum standen Bäume, sodass es dort dunkel und schattig war. Das Ding sah aus wie eine alte Holzfällerhütte aus einem Märchenbuch, und es fiel mir auf, weil es in so krassem Gegensatz zu dem modernen westlichen Haus auf demselben Grundstück stand.
    An dem Tag haben wir nur Schach gespielt und ferngesehen, aber wir haben uns gut verstanden, und von da an hingen wir ziemlich oft zusammen herum. Immer wenn ich zu ihm ging, wunderte ich mich, was das für ein Schuppen war, und irgendwann fragte ich meinen Freund danach.
    Sofort verdüsterte sich seine Miene und er senkte die Stimme. ›Geh da bloß nicht rein, niemals!‹, warnte er mich.
    Natürlich wollte ich wissen, warum.
    Er tat so, als wäre das die dämlichste Frage der Welt. ›Warum?‹, wiederholte er

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