Der Graben: Thriller (German Edition)
Schlafzimmer, fand den Kalender in ihrer Handtasche und nahm ihn mit ins Arbeitszimmer.
»Darf ich mal sehen?«, fragte Hashiba.
»Bitte.« Saeko reichte ihm das Büchlein.
Hashiba wunderte sich spontan über dessen Gewicht. Das Buch war eine Nummer größer als ein normaler Terminkalender und hatte eine Hülle aus echtem Leder. Auf dem Titel war in Goldbuchstaben die Jahreszahl 1994 eingraviert, und das Ganze sah sehr vornehm aus.
Bei einem Blick ins Innere stellte Hashiba fest, dass die Seiten bis Ende August vollgeschrieben waren. Danach gab es nur noch wenige Einträge. Shinichiro schien das Buch nicht nur zur Organisation seiner Termine benutzt zu haben, sondern auch, um Notizen und Gedanken festzuhalten.
Beim Durchblättern fiel Hashiba sofort etwas Merkwürdiges auf. Als der Kalender in der Mitte aufgeschlagen war, kam es ihm komisch vor, wie die Seiten fielen. Er schloss und öffnete das Buch ein paarmal, um herauszufinden, woran das lag. Dabei fielen ihm zum ersten Mal die seltsamen Unebenheiten unter der Hülle auf.
»Oh!«, rief er und entfernte die Hülle. Ein Gegenstand glitt heraus und landete geräuschlos auf dem Teppich. Hashiba hob ihn auf und hielt ihn in Augenhöhe vor sich. Es war eine 3,5-Zoll-Diskette. Wie auf dem Terminkalender stand auch auf ihrem Etikett »1994«. Ein Vergleich war nicht nötig: Die Handschrift war eindeutig Shinichiros. Einige Augenblicke lang starrten Hashiba und Saeko die Diskette von allen Seiten an, ohne ein Wort zu sagen.
»Kann es sein…«, begann Hashiba.
»…dass dies das letzte Manuskript meines Vaters ist?«, beendete Saeko den Gedanken.
Shinichiro hatte mehrere tragbare Textprozessoren angeschafft, die er im Büro, in der Ferienwohnung und so weiter benutzte. Auf Geschäftsreisen nahm er stets ein Gerät mit, damit er schreiben konnte, wo immer er war. Natürlich hatte er auch immer eine Diskette dabeigehabt.
Kein Wunder, dass Saeko sie nicht hatte finden können. Die Diskette hatte unter der Hülle des Terminkalenders gesteckt, und dieser hatte im Haus der Fujimuras in Takato gelegen.
»Ich glaube nicht, dass wir die Datei auf einem Computer öffnen können«, überlegte Hashiba. Heutzutage waren nicht mehr viele Textprozessoren im Umlauf. Doch wenn sie das Manuskript lesen wollten, würden sie es auf einem alten Gerät öffnen und dann ausdrucken müssen.
Saeko ging zum Regal am Fenster und zog eine Gardine auf. Dahinter stand ein stattlicher schwarzer Textprozessor, ein Relikt aus einer anderen Ära. »Immer der Reihe nach. Öffnen wir zuerst die Datei«, schlug sie vor.
Sie fand das Kabel des lange nicht mehr benutzten Geräts und steckte es in eine Steckdose. Als sie den Schalter drückte, piepte das Gerät leise und erwachte surrend zum Leben. Wörter liefen über den langen, schmalen Bildschirm.
Saeko setzte sich auf einen Hocker und ging ganz sorgfältig vor. Es war das erste Mal, dass sie den Textprozessor ihres Vaters anrührte, und das alte Gerät war nicht leicht zu bedienen.
Sie stieß ein kurzes Gebet aus, während sie behutsam die Dateien öffnete und durchscrollte. Die Diskette enthielt vierzehn Dateien von jeweils etwa zehn Seiten. Auf jeder Seite waren ungefähr 800 Zeichen – handschriftlich wären es insgesamt etwa 300 Seiten gewesen. Das war nicht lang genug für ein ganzes Buch. Shinichiros Manuskripte waren immer zwischen 500 und 800 Seiten lang gewesen. Dieses Manuskript war eindeutig unvollendet. Der Inhalt der Diskette war vermutlich weniger als die Hälfte von dem, was Shinichiro hatte schreiben wollen.
Der Bildschirm des Textprozessors zeigte immer nur eine halbe Seite auf einmal an, und die Auflösung war grauenhaft. Wenn sie den Text lesen wollten, würden sie ihn definitiv ausdrucken müssen.
Saeko gab den Befehl zum Drucken ein. Sie überprüfte das Farbband und legte das erste weiße Blatt ein. Als sie auf »Enter« drückte, begann das Gerät träge, den Text zu drucken, Zeile für Zeile, in einem Tempo, das – gemessen an modernen Standards – fürchterlich langsam war. Es war so langsam, dass es fast lächerlich war, und doch blieb ihnen keine andere Wahl.
Als ein paar Seiten gedruckt waren, glaubte Saeko, dass Hashiba begriffen hatte, wie das Gerät funktionierte. »Kommst du jetzt klar damit?«, fragte sie.
»Klar. Kein Problem.«
»Würdest du dann weitermachen? Ich kümmere mich um Kaffee und Frühstück.«
»Ich schaffe das schon.«
Saeko stand auf, und Hashiba übernahm ihren Platz auf dem
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