Der Grabritter (German Edition)
der Schläfe des Conte saß der Lauf eines Gewehres. Bice de Vigiani stand dort und hatte den Finger fest am Abzug. Der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ keinen Zweifel zu. Sie würde abdrücken. Auch der Conte erkannte es. Langsam ließ er das Schwert heruntersinken. »Weißt du eigentlich, was du da tust, Bice? Du zielst mit einem Gewehr auf deinen eigenen Vater. Wenn du nicht augenblicklich zur Vernunft kommst, vernichtest du das Werk von Generationen unserer Vorfahren. Du hast keine Vorstellung davon, was hier auf dem Spiel steht. Man wird auf dich keine Rücksicht nehmen, Bice. Den Männern, die mit uns zusammen diese Welt verändern wollen, bedeutet ein Leben gar nichts. Was du jetzt vorhast, ist also vollkommen sinnlos.« Nichts rührte sich im Gesicht der Contessa. Fester drückte sie die Mündung des Gewehrs an den Kopf des Conte. »Wo ist Victor?«, fragte sie nur. Donatello zeigte mit der Hand auf den enthaupteten Guiseppe.
»Wäre dein Victor hier, dann säße er jetzt auf dem Stuhl da.« Bice zwang den Conte, das Schwert fallen zu lassen und drängte ihn weiter in den Raum hinein zu gehen. »Ramon, nimm ihm den Schlüsselbund ab und sieh dich hier unten um. Ich will wissen, ob Victor hier ist.« Ramon war, nachdem er schon das letzte Gebet für sich gesprochen hatte, wieder klaren Kopfes.
Er trat auf den Conte zu, nahm den Schlüsselbund und öffnete nacheinander alle Türen des Kellers. Als Letztes trat er vor die große Tür mit den drei schweren Schlossriegeln. Der Totenkopf auf dem Türblatt schien ihn warnend anzu starren . Ramon schluckte, dann schloss er die drei Riegel auf. Er drückte gegen das schwere Türblatt und betrat das unheimliche Gewölbe. Zum ersten Mal war ein Außenstehender in der geheimen Gruft, in dem die Treffen de r Loge stattfanden. An den Wänden brannten ein paar Fackeln. Er sah zum Kamin hinüber, über dem die Unheil verkündenden Wappen hingen. Das der Vigianis und das der verschworenen Gemeinschaft, der sie angehörten. Ein kalter Schauer lief Ramon über den Rücken. Vorsichtig näherte er sich dem großen Tisch. Landkarten, Skizzen und Aufzeichnungen, lagen überall verstreut darauf herum. Ramon sah sich die Dokumente an. Sie ergaben keinen Sinn für ihn. Er drehte sich um und suchte weiter. Von Victor Baranow fehlte jede Spur. Zurück bei Bice und ihrem Vater, schüttelte er den Kopf. »Victor ist nicht hier, Contessa. Ich habe alles gründlich durchsucht. Da hinten ist nur ein großer gruseliger Raum, in dem lauter wirres Zeug auf einem riesigen Tisch herumliegt.« Bice sah hinüber zu ihrem Vater. »Ich frage dich ein letztes Mal, Vater. Wo ist er?« Donatello Vigiani wandte seinen Kopf ab. »Dank deiner Hilfe ist dieser Mann in unser Haus gekommen, und jetzt ist er wahrscheinlich gerade dabei, mithilfe welcher Mächte auch immer, unseren Untergang herbeizuführen. Die Dinge, die in Bewegung gekommen sind, lassen jedenfalls das Schlimmste vermuten. Es bleibt uns nur wenig Zeit, zu retten, was zu retten ist, und d u trägst mit Schuld daran. Verflucht seist du, Bice, du bist keine Vigiani mehr.« Langsam ging Bice einen Schritt zurück. »Komm Ramon, lass uns verschwinden.« Bice und Ramon drehten sich um und liefen zurück nach oben. Der alte Conte blieb alleine zurück.
64
Die Tür flog auf, und Ferruccio Vigiani stürzte mit zwei seiner Männer ins Haus. Von dem plötzlichen Krach aufgeschreckt, kam Maria aus der Küche gerannt. Vollkommen verwirrt lief sie dem Conte entgegen. »Gut, dass Sie da sind, Conte Ferruccio. Was ist heute bloß los in diesem Haus?« Mit versteinertem Gesicht ging Ferruccio an ihr vorbei zur Treppe ins Obergeschoss. »Was soll los sein, Maria? Ist mein Vater oben?« Maria sah ihm hilflos hinterher. »Nein, Conte Ferruccio, eben nicht. Er hat mit einem Gewehr das Haus verlassen. Kurz darauf hat Ramon die Tür zur Bibliothek eingetreten, weil die Contessa dort eingesperrt war und mit einem Gewehr um sich geschossen hat. Dann sind die beiden ebenfalls aus dem Haus gelaufen. Bitte Conte, sagen Sie mir doch, ist etwas passiert?« Ferruccio Vigiani drehte sich abrupt um. Seine Augen glühten. Er ging zurück und schob Maria zur Seite. »Es ist alles in Ordnung, Maria. Wir sind bald wieder da.« Zusammen mit seinen Männern ging er wieder nach draußen. In der Ferne hörten sie mit einem Mal das Geräusch von Hubschrauberrotoren. Der Conte drehte sich zu seinen Männern um. »Fahrt sofort zurück zur Mauer. Nur die Torwachen
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