Der Grabritter (German Edition)
und erklärte etwas. Z wei Worte kamen dabei aus seinem Mund, die auch Kerner verstand. » Weiße Frau . «
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Marcus Kerner hielt den Geländewagen an, mit dem er unterwegs war. Der dichte Urwald hatte sich gelichtet. Vor ihm tauchte das kleine Dorf auf. Mit den ärmlichen Hütten lag es dort im warmen Licht der langsam untergehenden afrikanischen Sonne. Spärlich bekleidete Männer, die von den Feldern kamen, zogen an ihm vorbei und betrachteten ihn neugierig. Vor einer etwas größeren, flachen Hütte am Rand des Dorfes sah Kerner ein paar Kinder herumtoben. Frauen begrüßten ihre heimkehrenden Männer, mit denen sie dann langsam nacheinander in ihre Behausungen gingen. Unter dem Vordach des größeren Gebäudes erschien die Gestalt einer Frau. Sie schaute für einen Augenblick den Kindern beim Spielen zu. Dann beobachtete sie den Sonnenuntergang, der in diesem Land so unvergleichlich schön war. Bice de Vigiani stand dort auf einer kleinen Veranda. Ihre Haare schimmerten im Abendlicht wie schwarzes Gold. Kerner stieg aus dem Wagen aus. Als Bice ihn bemerkte, glaubte Kerner, sein Herz müsse aufhören zu schlagen.
Langsam kam sie auf ihn zu. Er stand nur da, und war keiner Bewegung fähig. Wie sehr hatte er sie vermisst. Die Frau vom Fluss, in dem Marquart den bitteren Preis für seine Taten zahlen musste, hatte Bice auf dem Bild wiedererkannt. Sie wusste von der weißen Frau, die vor Kurzem in dieses Land gekommen war. Von der Frau, die tat, was in ihrer Macht stand, um den Leuten hier zu helfen. Die letzten Meter lief Bice auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Immer wieder küsste sie ihn, und langsam sanken die beiden zu Boden. Kerner nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah sie an. »Was machst du hier, Bice? Ich hatte schon geglaubt, ich würde dich vielleicht nie mehr wiedersehen.« Bice nahm seine Hände herunter und drehte ihren Kopf. Dann zeigte sie mit der Hand auf die spielenden Kinder vor ihrer Hütte.
»Siehst du sie, Marcus? Siehst du diese Kinder? Du weißt am besten, welche Verbrechen an ihnen begangen wurden, und meine Familie gehörte mit zur übelsten Sorte von Ausbeutern dieser hilflosen Menschen. Als ich es erfahren habe, brach für mich eine Welt zusammen. Glaub mir, ich wollte nicht mehr leben. Was aber hätte das für einen Sinn gehabt? Es hätte niemandem hier geholfen. Also habe ich etwas anderes getan. Ich habe das Vermögen, das mir geblieben ist, einer Stiftung vermacht, die ich selbst gegründet habe. Der Verwaltungsrat der Stiftung besteht aus guten Leuten. Ich meine aus wirklich ehrlichen Menschen, die vorher auf Herz und Nieren geprüft wurden. Meine einzige Forderung gegenüber dem Stiftungsrat war, dass die Gelder ohne Ausnahme den Menschen in diesem armen Land zugutekommen. Aber damit hätte ich persönlich noch immer nichts getan.
Also entschloss ich mich, hierher zu kommen und zu sehen, ob es eine Möglichkeit für mich gäbe, selbst mit anzupacken. Ich bin die Lehrerin dieser Kinder, Marcus. Obwohl - oft frage ich mich, wer wessen Lehrer ist. Aber vielleicht kann ich es erreichen, dass einige von ihnen auf höhere Schulen gehen können, und wenn sie später gut ausgebildet zurückkommen, haben sie vielleicht die Möglichkeit, selbst mitzuhelfen, das Elend in ihrem Land zu besiegen. Ich schulde diesen Menschen das. Mehr noch Marcus, ich schulde ihnen viele Leben, aber ich kann ihnen nur einen Teil meines Lebens dafür anbieten.« Kerner hörte Bice zu und sah sie an. »Was ist mit uns beiden? Gibt es für uns keine gemeinsame Zukunft mehr ? Weißt du nicht, wie sehr ich dich liebe?« Tränen standen in den Augen von Bice de Vigiani. Zärtlich streichelte sie sein Gesicht. »Ich weiß Marcus, und Gott ist mein Zeuge, auch ich habe dich geliebt, wie ich noch nie einen Mann geliebt habe. Aber du hast mich getäuscht. Wenn ich auch mit meinem Bruder und meinem Vater nichts gemein habe, so doch eins. Die Vigianis können nicht vergessen.« Kerners Gedanken wanderten zurück. Was hätte er tun sollen? Was hätte er anders machen können? Nichts, und schon bei ihrer ersten Begegnung war ihm, wenn vielleicht auch nur vage, die Konsequenz seiner Handlungen bewusst gewesen. Jetzt musste er den Preis dafür zahlen. Bice legte ihre Hand liebevoll an Kerners Wange. In seinen Augen konnte sie seine Gedanken lesen. »Nichts, Marcus. Nichts hättest du tun können.
Alles, was geschehen ist, musste geschehen. Das ist das wahrhaft Traurige an unserer
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