Der Grabritter (German Edition)
Kosten geradestehen.« Nur allzu g erne hätte Kerner diesem selbstgerechten Kotzbrocken einen Kinnhaken verpasst. Nach außen blieb er jedoch vollkommen ruhig , als er antwortete. »Am Montagmorgen hat Kriminalrat Herzog meinen Bericht vorliegen. Er wird Sie bei Bedarf sicher informieren . Sonst noch was? Wenn nicht, dann entschuldigen Sie mich, Herzog wartet auf mich in seinem Büro.« Der lakonische Ton in Kerners Stimme trieb Marquart die Zornesröte ins Gesicht. Er war es gewohnt, dass man sich vor ihm fürchtete, aber dieser Kerner wollte einfach keine Notiz von ihm nehmen. Seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Dann ging er ohne ein weiteres Wort an Kerner vorbei in Richtung Ausgang. Kerner betrat den Fahrstuhl und sah Marquart nach, der nun fast schon den Ausgang erreicht hatte. Er wusste, dass dieser kleine untersetzte Mann mit den kalten Fischaugen gefährlich war. Wie gefährlich - sollte er noch schmerzlich erfahren.
Im Vorzimmer von Kriminalrat Herzogs Büro erhellte sich Kerners eben noch düsteres Gesicht wieder. Hinter einem riesigen alten Schreibtisch, der wie immer vor lauter Akten fast zusammenzubrechen drohte, saß Frau Berendt. Mit ihren großen rehbraunen Augen strahlte sie ihn an. »Guten Tag Herr Hauptkommissar. Ich habe Sie ja schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Mögen Sie mich etwa nicht mehr oder was hält Sie mir fern? Vielleicht eine eifersüchtige Freundin, von der ich noch nichts weiß?«
Sie lachte. Ein Lachen, das einfach jeden grauen Gedanken vertreiben konnte, das herzhafte und ehrliche Lachen eines von Grund auf positiven Menschen. Christa Berendt war einfach die gute Seele der ganzen Abteilung. Sie arbeitete jetzt schon seit über fünfzehn Jahren als Chefsekretärin für Herzog, und ohne sie wäre diese Abteilung sicher nicht dieselbe. »Christa, wenn ich am Boden zerstört bin und mich am liebsten in eine Ecke verkriechen möchte, brauche ich nur zwei Minuten in Ihrem Büro zu sein, und ich weiß wieder genau, dass sich unsere Arbeit lohnt.« Christa Berendt stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch, legte das Kinn auf die verschränkten Hände und himmelte ihn blinzelnd an. »Mehr davon«, hauchte sie träumerisch. Kerner zeigte lächelnd auf die Tür zu Kriminalrat Herzogs Büro. »Kann ich zu ihm rein?« Mit gespielter Enttäuschung über den viel zu kurzen Flirt zog Christa die Mundwinkel nach unten , machte einen Schmollmund und zeigte ihm mit einer Handbewegung an, dass er bereits erwartet wurde. Kerner schüttelte den Kopf und lachte. Wie schön, dass es Menschen wie Christa gab, dachte er bei sich und trat nach kurzem Klopfen in Kriminalrat Herzogs Büro. »Guten Morgen Herr Kriminalrat. Sie wollten mich sprechen?«
Herzog stand am Fenster, die Hände auf dem Rücken gefaltet, und sah nachdenklich hinaus. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Sein Haar war bereits eisgrau und lichtete sich am Hinterkopf. Trotzdem hatte dieser Mann eine unglaubliche Energie. »Wie geht es Wegener?«, fragte er, ohne sich umzudrehen. Hörbar pustete Kerner die Luft aus. »Er liegt in der Bonner Uni-Klinik und ist über den Berg.« Herzog atmete tief durch. »Das ist gut«, erwiderte er leise. »Gut für ihn und gut für Sie, Kerner.« Immer noch aus dem Fenster sehend sprach er weiter. »Marquart will Sie raus haben. Wieso , frage ich mich. Warum schießt er ausgerechnet gegen Sie aus allen Rohren?« Herzog drehte sich um und ging zu seinem Schreibtisch. Dort blieb er stehen und sah Kerner an. Seine dunkelbraunen Augen , eingerahmt von dichten Augenbrauen , strahlten eine unglaubliche Ruhe und ein hohes Maß an Intelligenz aus. »Wie lange sind Sie jetzt bei uns?«, fragte er unvermittelt. Kerner war überrascht von der Frage. »Fast fünf Jahre, aber wieso fragen Sie?« Statt auf Kerners Gegenfrage einzugehen, fuhr Herzog fort. »Sie haben zunächst Theologie studiert und sind dann zur Kriminalpolizei gegangen. Z iemlich ungewöhnlicher Werdegang. Sagen Sie, wie kam es eigentlich dazu?«
Kerner wusste nicht, worauf Herzog hinauswollte. W arum er hier war , wusste er dafür aber sehr genau . »Ich bin in christlichem Glauben erzogen worden, Herr Kriminalrat. Jedes menschliche Leben hat für mich einen hohen Wert und ich denke, dass jeder ein Stück weit für seine Mitmenschen verantwortlich ist. Leider musste ich feststellen, dass es Leute gibt, die darauf pfeifen, welches Schicksal andere erleiden. Es spielt
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