Der Graf und die Diebin
unternehmen. „Aussteigen!“
Es war keine höfliche Bitte, es war ein knapper Befehl, der sie wütend machte. „Und wenn ich sitzen bleibe?“, fauchte sie.
Der Offizier packte sie am Handgelenk, und sie spürte schmerzhaft den Druck seiner breiten harten Finger. „Es täte mir leid, Euch zwingen zu müssen, Duchesse.“
Sie verzichtete darauf, den umstehenden, sie gierig anstarrenden Soldaten ein Schauspiel zu bieten und fügte sich. Die Kutsche befand sich in einem düsteren rechteckigen Innenhof, acht runde Türme waren durch hohe Mauern miteinander zu einer geschlossenen Festung verbunden. Kaum ein Lichtstrahl drang bis in den großen gepflasterten Hof hinunter, abweisend drohten die kantigen Mauervorsprünge, vergitterte Fenster und Toreingänge machten deutlich, dass es für die Unglücklichen, die hier gefangen gehalten wurden, kein Entkommen gab. Hinter der Kutsche schloss sich das schwere, hölzerne Tor, und einer der Soldaten schob den Querbalken in die Verankerung. Das polternde Geräusch ließ Jeanne erzittern – es bedeutete, dass man sie endgültig ihrer Freiheit beraubt hatte.
„Hier entlang!“
Man schob sie in einen der Eingänge hinein und führte sie durch eine düstere Halle, die sogar tagsüber mit Kienspänen erleuchtet werden musste. Dicke gemauerte Säulen stützten die Decke, eine schmale Treppe führte steil aufwärts, ringsum gab es vergitterte Wandöffnungen, Tore, Nischen. Jeanne sah im Vorübergehen einen Soldaten im Gespräch mit einer jungen Frau, die in Verzweiflung die Hände rang – dann führten ihre Begleiter sie in einen mit Gittern versehenen Eingang hinein und stießen sie eine steinerne Wendeltreppe hinauf. Sie hörte die lauten Tritte der Soldatenstiefel hinter sich auf den Steinen, das Klirren der Sporen, das Geräusch der Säbel, die gegen die Wände stießen. Ein enger Flur öffnete sich vor ihr, zwei Soldaten standen Wache vor einer Tür aus grobem Holz, die mit Eisenbeschlägen versehen war. „Die Duchesse de Gironde.“
„Eintreten.“
Das kreisrunde Turmzimmer wurde durch zwei kleine Fenster erhellt, in der Mitte des Raums befand sich ein Tisch, auf dem sich Akten stapelten. Der Mann, der daran saß und sie mit stechendem Blick musterte, war Jeanne völlig unbekannt. Er hatte schütteres dunkles Haar, das bis auf den weißen gestärkten Kragen herabhing, sein Gewand war schwarz und schmucklos – bis auf die Manschetten aus feiner weißer Spitze. „Ich fordere eine Erklärung“, schimpfte sie los. „Mein Vater und ich wurden Opfer eines Anschlags. Ich erwarte von Euch, dass Ihr die Täter findet, anstatt die Opfer zu beschuldigen!“
Er blieb völlig gelassen. Auf einen Wink von ihm brachte einer der Soldaten einen Schemel, den er neben Jeanne absetzte.
„Nehmt Platz, Duchesse. Wir sind damit befasst, den Fall zu untersuchen und benötigen dazu Eure Hilfe.“
„Und dazu musstet Ihr mich von Euren Soldaten wie eine Verbrecherin abholen und in diese Festung bringen lassen?“, rief sie aufgebracht. „Das ist absurd. Ich verlange sofort freigelassen zu werden. Ich habe große Sorge um meinen Vater und muss nach ihm sehen!“
„Selbstverständlich, Duchesse. Wir haben nur einige Fragen.“
Seine Ruhe brachte sie in Wut. Es war ganz offensichtlich, dass er sie belog. Er hatte nicht nur einige Fragen – es ging um eine Anklage.
„Der Docteur Jean Baptiste Merieux meldete uns einen Fall von Vergiftung. Ist es richtig, dass auf Euren Vater ein Giftanschlag verübt wurde?“
„Nicht nur auf meinen Vater“, gab sie aufgeregt zurück. „Auf mich ebenfalls. Hätte ich das Glas Wein getrunken, dann ging es mir jetzt vermutlich ebenso wie meinem Vater.“ Der Mann, der sich bisher nicht einmal mit Namen vorgestellt hatte, tauchte die Feder ein und notierte etwas auf ein Blatt Papier.
„Woher stammte der Wein, den Ihr getrunken habt?“
„Das weiß ich selbst nicht. Mein Vater lässt verschiedene Lebensmittel und Getränke anliefern – man müsste die Dienerschaft befragen.“
„Ist Euch eine Catherine Monvoisin bekannt?“
„Nein!“
Er schrieb wieder etwas und sah dabei immer wieder mit raschen Blicken zu ihr auf. Sie hatte den Schemel nicht akzeptiert und war stehen geblieben in der Hoffnung, dieses Gespräch so rasch wie möglich beenden zu können.
„Ihr seid die einzige Tochter und Erbin des Duc Roger de Gironde?“ Seine lauernde Art war ihr zuwider. Was wollte er ihr jetzt anhängen?
„Ich will wissen, wer mich angeklagt
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