Der Graf und die Diebin
Postillion ausgehändigt. Seitdem hatte sie es so eingerichtet, dass sie bei der Ankunft der Post als erste am Hauseingang auftauchte, und die Briefe zu Mme de Fador hinauftrug. Bisher war kein Brief mit dem Siegel des Comte darunter gewesen. Und dabei wusste sie doch, dass ihre junge Herrin ungeduldig auf eine Antwort wartete.
Gerade, als sie die Postkutsche zwischen den heranrollenden Wagen erkannte, hörte sie hinter sich das Geräusch von kräftigen Schritten und das Rascheln eines Kleides. Mme de Fador hatte in Begleitung eines Herrn den Raum betreten. Nadine erschrak – sie wollte auf ihrem Beobachtungsposten ungern von Mme de Fador entdeckt werden. Noch verbarg sie der lange Fenstervorhang – vielleicht würde man sie gar nicht bemerken, wenn sie sich nicht bewegte.
Sie mussten in der Nähe des Kamins stehen geblieben sein und sprachen mit gedämpfter Stimme. Der Herr – Nadine war sich sicher, ihn zu kennen, konnte ihn aber nicht einordnen – antwortete gar im Flüsterton. Nadine spitzte unwillkürlich die Ohren und hoffte inständig, dass die beiden kein allzu langes Gespräch miteinander führen wollten.
„Ich sagte bereits, lieber Chevalier, dass die Angelegenheit nicht ganz einfach sein wird. Das Mädchen ist völlig unerfahren.“
„Eine kleine Wilde ist sie, Madame. Ich muss allerdings zugeben, dass ihr Widerstand mich ganz besonders reizt.“
„Genau das habe ich vermutet, lieber Chevalier. Im Übrigen bin ich sicher, dass sie noch Jungfrau ist.“
„Ihr seht mich aufs Äußerste entzückt, Madame. Allerdings wird das Wild nicht freiwillig in die Falle gehen.“
„Überlasst alles mir, bester Freund. Ich sorge dafür, dass Ihr nicht enttäuscht werdet.“
„Und wann?“
„Ihr könnt es kaum erwarten, wie?“
„Ich gestehe, dass ich vor Ungeduld brenne. Das, was ich erfahren habe, war so erregend, dass die Vorstellung dessen, was mir noch vorenthalten wurde, mich fast um den Verstand bringt. Sagt mir, wann ich auf Erlösung hoffen kann.“
„Ihr werdet nicht vergessen, was wir miteinander vereinbart haben?“
„Madame! Habe ich mich jemals undankbar gezeigt?“
„Ich vertraue Euch, Chevalier. Ihr werdet bald von Euren Qualen frei sein. Sehr bald sogar, Chevalier.“
„Ich bin Euer ergebenster Diener, Madame.“
Nadine stand unbeweglich hinter dem Fenstervorhang und versuchte ihre Aufregung zu beherrschen. Jetzt war das Geräusch einer sich öffnenden Tür zu hören, Seide raschelte, die Holzdielen knarrten unter schweren Schritten, dann schloss sich die Tür wieder. War sie allein? Oder war Mme de Fador immer noch im Raum?
Ihr Herz klopfte so stark, dass sie kaum Atem holen konnte. Es ging um Jeanne, man hatte etwas mit ihr vor. Sie hatte es längst geahnt – auch in der Dienerschaft waren Andeutungen gemacht worden. Der Chevalier sei vor Liebe ganz närrisch und habe Mme de Fador große Summen Geldes angeboten. Bisher hatte ihn die Marquise jedoch freundlich aber bestimmt in seine Schranken gewiesen. Nun schienen die beiden sich einig geworden zu sein.
Nadine wagte einen Blick durch einen Schlitz des Vorhangs. Der Salon war leer. Sie schlüpfte aus ihrem Versteck, schlich sich aus dem Raum und eilte die Treppe hinauf. Sie musste Jeanne warnen – es gab böse Gerüchte über den Chevalier.
„Nadine!“ Sie blieb mitten auf der Treppe stehen und erzitterte. Die gerufen hatte, war Mme de Fador.
„Madame?“
Die Marquise sah mit kühlen grauen Augen zu ihr hinauf. „Wo kommst du her?“
Nadine spürte, wie sie errötete. Ihre Hände begannen zu zittern. „Aus.... der Küche, Madame.“
Der kühle Blick schien in sie einzudringen und ihr Inneres zu Eis gefrieren zu lassen. „Die Tischtücher im Speisezimmer müssen gewechselt werden.“
„Ja, Madame.“
Erleichtert lief sie die Treppe hinunter. Diese Arbeit gehörte zwar nicht zu ihren Aufgaben, aber das war ihr im Moment gleich. Vermutlich war jemand krank geworden oder mit einem Auftrag außer Haus. Sie nahm die großen silbernen Kandelaber von den Tischen und postierte sie auf den Kamin. Dann entfernte sie die Tischtücher und stieg hinauf in die Wäschekammer, um frische Tücher zu holen. Sie liebte die Wäschekammer, den schmalen, fensterlosen Raum, in dem die schön gewebten Stoffe und Decken in großen Schränken aufbewahrt wurden. Jedes einzelne Wäschestück trug das Wappen und Monogramm der Marquise – stilisiertes Eichenlaub, kunstvoll mit den Buchstaben M und F verschlungen. Wenn man die Schränke
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