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Der Graf und die Diebin

Der Graf und die Diebin

Titel: Der Graf und die Diebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Amber
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fehlen.“
    Christian war gerührt und klopfte seinem Freund auf die Schulter. René fasste jetzt allen Mut zusammen und zog einen Brief aus der Tasche. „Gib ihn Nadine, ja?“, murmelte er errötend.
    Christian grinste verständnisvoll und verstaute das Schreiben in seiner Jacke. „Verlass dich nur auf mich, mein Freund.“
    Claude hatte dafür gesorgt, dass die Reisekutsche mit dem Gepäck beladen wurde, hatte den beiden Dienern, die den Comte begleiten würden, Anweisungen gegeben und schließlich den Kutscher instruiert. Er war von Christian mit der Verwaltung des Besitzes beauftragt worden und floss über vor Stolz auf die neuen Würden. Damit würde er Marie ordentlich beeindrucken und sie würde endlich aufhören, ihn wie einen kleinen Jungen zu behandeln. Das Einzige, das er im Moment fürchtete war die Möglichkeit, dass Christian es sich noch einmal anders überlegen und wieder zurückkommen könnte.
    Aber Christian war fest entschlossen und brannte darauf, seine Reise anzutreten. Er schloss René und Claude in seine Arme und bestieg die wartende Reisekutsche. Während die Pferde munter trabten und sein Schloss langsam den Blicken entschwand, zog er ein Papier aus seiner Westentasche und las die Zeilen, die ihn so beglückt und beflügelt hatten. Dabei hatte er sie während des vergangenen Tages und der Nacht so oft gelesen, dass er sie längst auswendig kannte.
    Lieber Christian,
    ich habe lange gezögert, dir zu schreiben, weil ich eine sture und dickköpfige Person bin und darauf gewartet habe, dass du den ersten Schritt tun würdest. Nadine hat behauptet, du würdest ganz sicher bald nach Paris kommen, ich müsste mir keine Gedanken machen. Sie hatte Unrecht – du bist nicht gekommen.
    Vermutlich hast du mich inzwischen längst vergessen und dir eine andere gesucht. Sicher ist sie eine sanfte und zärtliche Person, die nicht im Traum daran denken würde, dich zu beißen, zu kratzen oder zu treten. Die Wildkatze, wie du mich zu nennen pflegtest, hatte die Krallen ein wenig zu weit vorgestreckt, und ich kann verstehen, dass sie dir schließlich lästig geworden ist. Die Wildkatze bereut zwar ihre Bosheiten und gesteht, dass sie unendliche Sehnsucht nach dir hat – doch es ist ohne Zweifel zu spät.
    In meinem Schlafzimmer gibt es einen Kamin, über dem goldfarbene Götterwesen tanzen. Manchmal steigen sie von der Wand zu mir herunter und stehen vor meinem Bett. Einige sind so schön, dass mir schwindelig wird, wenn ich sie ansehe. Andere aber sind sehr schrecklich, und ich fürchte mich vor ihnen. Es gibt niemanden, der diese seltsamen Figuren bannen könnte, und ich fürchte, dass ich ihnen ganz und gar ausgeliefert bin.
    Lebe wohl,
    deine böse, undankbare Jeanne.
    Er küsste ihre Unterschrift und sah nachdenklich aus dem Fenster. Ihre Briefe mussten sich gekreuzt haben – umso besser. Sie hatten beide zum gleichen Zeitpunkt einen Schritt aufeinander zugemacht. Ein gutes Omen.
     
    Nadine stand am Fenster des roten Salons und schaute auf die Uferstraße hinunter, wo sich Fußgänger, Wagen und Karossen drängten. Es ging dem Abend zu – um diese Zeit ließen sich die vornehmen Einwohner der Stadt zu verschiedenen Gesellschaften und Salons kutschieren. Wagen mit bunten Wappen an den Schlägen – mit vier bis sechs Pferden bespannt – suchten ihren Weg durch den Verkehr, livrierte Diener saßen mit wichtigen Mienen auf den Außensitzen, Kutscher fluchten, spuckten und schwangen die Peitschen. Dazwischen eilten Bedienstete, die irgendwelche Aufträge zu erfüllen hatten, Waschfrauen, die Schürzen noch umgebunden, schleppten ihre vollen Körbe, Marktfrauen kehrten nach Hause zurück und zogen beladene Leiterwagen hinter sich her.
    Nadine liebte es, dieses Gewimmel aus sicherer Entfernung heraus zu betrachten. Weitaus weniger gefiel ihr es, wenn sie genötigt war, selbst in Erfüllung eines Auftrags durch die belebte Straße zu hasten. In den ersten Wochen hatte sie vor den vielen eilig dahinrollenden Wagen solche Angst gehabt, dass sie wie ein scheues Mäuschen dicht an den Hauswänden entlangschlich und immer wieder in einen Hauseingang flüchtete, um einen Passanten oder eine Kutsche vorüber zu lassen. Inzwischen hatte sie sich ein wenig an das laute, bedrohliche Straßenbild gewöhnt – heimisch würde sie in dieser großen Stadt jedoch niemals werden.
    Sie stand nicht ohne Grund am Fenster. Vor einer guten Woche hatte sie Jeannes Brief unter die Post der Herrschaft geschmuggelt und dem

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