Der Graf und die Diebin
Erleichterung fuhr man durch eine dichte Kastanienallee. Sie atmete auf. Nach der Hitze und dem Gestank der Stadt war es angenehm, im Schatten der Bäume zu fahren. Die Fußgänger, die hier promenierten, waren allesamt herrschaftlich gekleidet, man sah Männer mit breiten Hüten, den Degen an der Seite, die Damen bewegten bunte Fächer, einige schützten sich mit Sonnenschirmchen vor der sommerlichen Glut.
„Der König weilt abwechselnd an verschiedenen Orten. Vor allem hier im Louvre, mein Kind. Aber zuweilen auch in den Tuilerien oder im Palais du Luxembourg.“
Jeanne nickte und stellte verwirrt fest, dass der Chevalier sein Knie gegen das ihre drückte. Sie rutschte zur Seite.
Auf der linken Seite wurde der Blick nun frei auf weit ausgedehnte Gärten. Entzückt betrachtete Jeanne die kunstvoll abgezirkelten Beete, zwischen denen sich Statuen und Wasserbecken befanden, aus denen helle, glitzernde Fontainen sprangen. Auch hier sah man zahlreiche Spaziergänger, die einzeln oder in kleinen Gruppen durch den Park wanderten.
„Der Garten der Tuilerien“, erklärte der Chevalier.
„Wie schön!“, rief sie begeistert. „Werden wir hier aussteigen?“
„Wenn Ihr erlaubt, Mademoiselle, so fahren wir noch ein wenig weiter.“
Die Karosse folgte dem Verlauf der Allee, und als sie an ihrem Ende angekommen war, führte der Weg durch Wiesen und kleine Wäldchen hinunter ans Ufer des Flusses. Der Kutscher schien genaue Anweisungen zu haben, denn er hielt an einer lauschigen Stelle inmitten grünender Bäumchen. Glitzernd lag der große Fluss vor ihnen, matt trieben die kleinen Wellen dahin, einige Enten, die am Ufer gesessen hatten, flüchteten ins Wasser.
„Es ist sehr hübsch hier“, meinte Jeanne, während der Kutscher sich beeilte, den Herrschaften den Schlag zu öffnen.
Der Chevalier stieg zuerst aus der Kutsche und ergriff ihren Arm, um ihr behilflich zu sein. Sie spürte für einen Augenblick seinen heißen Atem an ihrem Hals, dann war sie aus der Kutsche heraus und lief zum Ufer hinunter.
Der Fluss führte um diese Jahreszeit nur wenig Wasser, doch es floss kristallklar über die hellen Kiesel, und sie bekam Lust, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und hindurchzuwaten, wie sie es als Kind getan hatte.
Der Chevalier war ihr gefolgt und sah zu, wie sie sich bückte, um einen kleinen Stein aufzuheben. Sie warf ihn geschickt über die Wasserfläche und zählte die Sprünge, die der flache Kiesel machte.
„Eins, zwei, drei, vier.... jetzt ist er weg. Nicht schlecht, oder?“, lachte sie.
Er sah ihr amüsiert zu. Was für eine bezaubernde kleine Unschuld. In seinem Hirn waren allerlei abgründige Gedanken, die er zu diesem Zeitpunkt leider noch für sich behalten musste.
„Wollt Ihr nicht dieses Cape ablegen, Mademoiselle? Es scheint mir viel zu warm dafür.“
Jeanne hatte schon den nächsten Kiesel im Auge und ließ sich bereitwillig den Umhang abnehmen. Er warf das Kleidungsstück ins Gras und sah zu, wie sie den Stein polierte, bespuckte und dann mit geschicktem Wurf über die Wasserfläche warf.
„Ihr gebt einen bezaubernden Anblick ab, wenn Ihr Euch so nach vorn neigt, Mademoiselle“, flüsterte er.
Sie war so in ihr Spiel versunken, dass sie zuerst nicht verstand, was er meinte. Dann bedeckte sie ihr Dekollete mit einer Hand und sah ihn ärgerlich an. „Ihr seid sehr unhöflich, Chevalier!“
„Im Gegenteil, Mademoiselle. Ich bin ein großer Bewunderer Eurer Schönheit. Jeder Zentimeter, den Ihr mir offenbart, erweckt mein Entzücken und erhöht mein Verlangen.“
„Bitte, gebt mir mein Cape zurück.“
Er dachte nicht daran, dieser Bitte zu entsprechen. Stattdessen fasste er ihre Hand, zog sie von ihrer Brust und küsste sie. Jeanne schrie auf und wollte sich befreien, doch seine mit Brillianten geschmückten Finger hielten ihre Hand fest umklammert. „Seid doch keine Närrin, Jeanne! Ihr bekommt von mir alles, was Ihr wollt. Kleider, Schuhe, modischen Tand, Geld und Juwelen. Ich habe eine Villa in St. Germain – dort werdet Ihr leben wie eine Fürstin. Und alles das für ein paar Zärtlichkeiten.“
Sie warf den Kopf hoch und fauchte ihn wütend an. „Ich brauche Eure Geschenke nicht, Chevalier. Lasst mich jetzt los, oder ich kratze Euch die Augen aus.“
Er keuchte, sie war viel kräftiger, als er geglaubt hatte. Als sie sich mit einem Ruck von ihm losriss, stolperte er rückwärts und fiel ins Gras. Jeanne war einen Moment lang erschrocken, denn der Fall war recht heftig
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