Der Graf und die Diebin
herausfließen wollte, freien Lauf. Lange weinte sie – erst als alle Tränen versiegt waren, spürte sie, dass es ihr leichter ums Herz war.
Sie stand auf, reckte die steif gewordenen Glieder und ging im Zimmer auf und ab. Trotz regte sich in ihr. Er hatte sie verraten. Hinterhältig verraten und an den Chevalier verkauft. Warum? Nur um seiner Eitelkeit willen. Ein Höfling wollte er werden. Eine wichtige Rolle am Hof des Königs spielen.
Er war nicht besser als alle anderen. Auch Christian spielte dieses Spiel, bei dem es um Macht ging. Wieso hatte sie geglaubt, dass er etwas Besseres sei? Weil er sie mit seiner zärtlichen, ungestümen Liebe umfangen hatte? Weil er an ihrem Bett gesessen und ihr Geschichten erzählt hatte? Weil er ihr eine solche traumhafte Liebesnacht bereitet hatte?
Zornig trat sie mit dem Fuß gegen einen kleinen Sessel. Er hatte alles genau kalkuliert. Diese Liebesnacht, die sie für den Beweis seiner zärtlichsten Gefühle zu ihr gehalten hatte, war nichts als kalte Berechnung gewesen. Er wollte sie gefügig machen, ihm hörig, bereit, alles für den geliebten Mann zu tun.
Wütend warf sie den Kopf hoch. Wenn er das beabsichtigt hatte, dann sollte er nicht enttäuscht werden. Oh ja – sie würde freundlich zu diesem widerwärtigen alten Fettwanst sein. Aber Christian würde daraus kein Vorteil erwachsen. Dafür würde sie sorgen.
Der Zorn bekam ihr gut – sie spürte wieder Leben in sich. Jetzt merkte sie auch, dass sie hungrig war und besah sich die Speisen, die die Alte ihr hingestellt hatte – auserlesene Köstlichkeiten, wie sie noch nicht einmal bei Mme de Fador auf den Tisch gekommen waren. Verschiedene Fleischpasteten, gedünsteter Fisch in einer würzigen Sauce, eingelegte Früchte und weißes Brot von feinster Sorte. Sie setzte sich zu Tisch und begann zu essen. Was hatte sie noch heute Morgen behauptet? Lieber sterben zu wollen als sich dem Chevalier hinzugeben? Sie spülte die Scham über ihre Dummheit mit einigen Schlucken Wein hinunter. Wie lächerlich das war. Die Liebe war es nicht wert, dass man ihretwegen ans Sterben dachte. Kein Mann war das wert. Kein Einziger auf der ganzen Welt. Und Christian schon gar nicht.
Sie war beim Dessert angelangt, als sich die Tür öffnete. Auf der Schwelle stand der Chevalier de Boudard und der Blick, mit dem er sie betrachtete, drückte Erleichterung und Zufriedenheit aus.
„Lasst Euch nicht stören, meine Liebe. Ich fürchtete schon, dass Ihr bei lebendigem Leibe verhungern wolltet. Aber dieser Besorgnis bin ich nun zum Glück enthoben.“
Sie löffelte eine Schale mit eingelegten Früchten, die so köstlich schmeckten, dass sie fast geschmatzt hätte. Sie leckte sich die Lippen mit der Zunge und lächelte den Chevalier verführerisch an. „Euer Koch ist ein Zauberer, Chevalier“, lobte sie. „Ich habe selten so gut gespeist.“
Er schien sich zu freuen und wagte sich einige Schritte näher an sie heran. „Ich bin ein begeisterter Sammler aller Kochrezepte, Mademoiselle. Ganz besonders die Nachspeisen sind meine ganze Leidenschaft.“
„Ja, das glaube ich“, gab sie unverfroren zurück und ließ den Blick über seinen kleinen Bauch gleiten.
Zu ihrer Überraschung schien ihm dieser spöttische Blick zu gefallen. Er errötete. „Ich bin kein Adonis, Jeanne“, sagte er. „Aber ich bin großzügig, wenn man meine Wünsche erfüllt.“
Sie goss ein zweites Glas Wein ein und reichte es ihm. Zögernd nahm er es aus ihrer Hand, dem Umschwung ihrer Stimmung noch nicht ganz vertrauend. „Auf Euer Wohl“, sagte sie und lächelte ihn an.
„Auf das Eure, Jeanne. Seid willkommen in meinem Hause.“
Sie tranken, und er versank in dem verführerischen Glanz ihrer blauen Augen. Wie machtvoll ihr Blick war, wie diese Augen ihn durchdrangen. Es schauerte ihn, und tausend Wünsche wurden in ihm wach.
„Ich denke, dass wir uns gut miteinander verstehen werden“, sagte sie und fuhr fort, ihn abschätzend zu betrachten.
Er wand sich unter ihrem forschenden Blick, sein Atem ging rascher, seine Hand, die noch das Glas hielt, begann zu zittern. „Ich bin Euer ergebenster Diener, Mademoiselle“, flüsterte er. „Euer Sklave, der bereit ist, Euch jeden noch so geheimsten Wunsch zu erfüllen. Alles will ich für Euch tun, Jeanne.“
Sie trank ein weiteres Glas und spürte, wie der Wein ihr Blut in Wallung brachte. Eine merkwürdige Lust überkam sie, ihn zu demütigen. „Kniet vor mir, Chevalier!“
Ein seliges Lächeln überflog
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