Der Graf und die Diebin
begriff, dass man hier solche Ereignisse gewohnt war.
Die Szene war widerlich gewesen, aber dennoch spürte sie eine seltsame Erregung. Lust konnte auch dunkel sein. Dunkel und abgründig.
Marguerite war darauf vorbereitet gewesen, Unwillen und Enttäuschung zu ernten. Vielleicht auch Zorn – nur zu verständlich, denn der junge Mann war in sein hübsches Spielzeug verliebt. Allerdings hatte sie diese heftige Reaktion nicht erwartet. Er hatte sie angestarrt wie ein wildes Tier. Dann war er ohne Erklärung davongerannt, hatte das Haus durchsucht, die Dienerschaft verschreckt und beim Versuch, hinter einen Alkoven zu sehen, zwei kostbare Vasen zerbrochen. Gleich darauf war er völlig aufgelöst und mit wirrem Haar in den Salon zurückgekehrt. Sie war vor ihm zurückgewichen, denn er machte Miene, als wollte er sich gleich auf sie stürzen.
„Wo ist sie? Wo habt Ihr sie versteckt?“
Sie brachte sich hinter einem Sessel in Sicherheit und betrachtete ihn fasziniert. Wie wild und ungestüm er war. Sie hatte nicht übel Lust, sich ihm entgegenzuwerfen, um die Kraft seiner jungen Muskeln an ihrem Körper zu verspüren.
„Aber liebster Freund. Ich begreife deine Aufregung nicht. Es geht um deine Zukunft, um das Vermächtnis deines Vaters.“
Er glühte vor Zorn. Fast fürchtete sie, er würde gleich den Degen ziehen und damit Unheil anrichten. „Es geht um Jeanne!“, tobte er. „Nie und nimmer kann sie mit diesem widerlichen Plan einverstanden gewesen sein!“
„Jeanne ist eine kluge junge Frau, die weiß, was sie will. Zudem tut sie es für dich, Christian.“
Er legte verzweifelt die Hände über das Gesicht und stöhnte. „Das kann nicht sein. Niemals. Noch heute Nacht hat sie mir geschworen, dass sie nur mir gehören will. Ich weiß, dass sie die Wahrheit gesagt hat.“
Marguerite begriff voller Verblüffung, dass ihr in dieser Nacht offensichtlich etwas entgangen war, denn diese beiden hatten ein heimliches Rendezvous gehabt. Das erklärte möglicherweise seine Gemütsbewegung. Sie tat indes, als habe sie nichts gehört.
„Aber natürlich will sie nur dir gehören, lieber Christian“, sagte sie begütigend. „Sie hat fest vor, einmal die Comtesse de Saumurat zu werden. Dafür setzt sie ihre Fähigkeiten ein. Ich sagte ja: Sie tut es für dich, Christian. Genauer gesagt: Für euer gemeinsames Glück.“
Er starrte sie wortlos an, und sie erschrak vor seinem Blick. Es war unverhohlener Hass darin. „Eure hinterhältigen Pläne, Madame, werden nicht aufgehen!“, zischte er. „Gehabt Euch wohl. Ihr seht mich nie wieder!“
„Christian! Ich flehe dich an. Christian!“
Sie packte ihn am Ärmel. Wenn er in dieser Aufregung fortlief, würde er wohlmöglich ein Unheil heraufbeschwören. Doch Christian riss sich unwillig von ihr los und stieß sie zurück, als sie sich an seinem Arm festklammern wollte. Sie fiel gegen einen Tisch und wäre um ein Haar zu Boden gestürzt. Die Tür schlug hinter ihm zu.
„Christian!“
Himmel, er würde möglicherweise in sein Verderben rennen. Sie wies die Dienerschaft an, sofort einen Boten nach St. Germain zu schicken, wo sich das Haus des Chevaliers befand. Sie traf ihre Anordnungen mit kühlem Kopf wie ein erfahrener Stratege. Innerlich jedoch war sie aufgewühlt. Was für ein temperamentvoller Liebhaber er war. Und er hatte die Nacht mit dieser Bauerndirne verbracht!
Christian war aus dem Haus gerannt und in seine Kutsche gestiegen, die auf der Gasse gewartet hatte. Der Kutscher hatte vor sich hingedöst und begriff zunächst nichts. „Fahr zu!“
„Und die junge Dame, die Euer Gnaden mitnehmen wollten?“
„Fahr zu!“
„Wohin, Herr?“
„Irgendwohin.“
Der Kutscher zuckte die Schultern und trieb die Pferde an. Langsam rumpelte der Wagen über das schlechte Straßenpflaster, ein Hund kläffte sie an, zwei Frauen gingen mit ihren schweren Marktkörben eine Weile vor der Kutsche her und wichen erst zur Seite, als der Kutscher ihnen einige Schimpfworte zurief.
Christian versuchte die Gedanken und Gefühle zu ordnen, die auf ihn einstürmten. Noch in dieser Nacht hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn liebte. Wie konnte sie sich dann einem anderen an den Hals werfen? Um ihm, Christian, den Weg zum Hof zu ebnen? Das war nicht seine Jeanne! Die Jeanne, die er liebte, hätte sich niemals für solch eine Intrige hergegeben. Es konnte nur eine infame Lüge sein. Warum war er nicht gleich darauf gekommen? Marguerite hatte sie fortgeschafft und log ihm etwas
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