Der Graf von Monte Christo 1
Accoules statt.«
»Das war dieselbe Kirche, wo ihre Hochzeit mit Edmund stattfi nden sollte«, sagte der Priester zu sich selbst, »es wurde also nur der Bräutigam gewechselt.«
»Mercedes verheiratete sich also«, fuhr Caderousse fort; »aber wenn sie auch in aller Augen ruhig erschien, so fi el sie doch in Ohnmacht, als sie an der ›Réserve‹ vorbeikamen, wo vor anderthalb Jahren ihre Verlobung mit demjenigen stattgefunden hatte, dessen Bild sie als das ihres Geliebten in ihrem Herzen gefunden haben würde, wenn sie in ihr Herz zu blicken gewagt hätte.
Ferdinand, der glücklich, aber nicht ruhig war – denn ich sah ihn zu jener Zeit, und er fürchtete fortwährend die Rückkehr Edmunds –
, war darauf bedacht, sofort Marseille zu verlassen.
Acht Tage nach der Hochzeit reisten beide ab.«
»Und haben Sie Mercedes wiedergesehen?« fragte der Abbé.
»Ja, beim Ausbruch des spanischen Kriegs in Perpignan, wo Ferdinand sie zurückgelassen hatte; sie widmete sich damals der Erziehung ihres Sohnes.«
Der Abbé fuhr zusammen.
»Ihres Sohnes?« fragte er.
»Ja«, antwortete Caderousse, »des kleinen Albert.«
»Aber, um diesen Sohn zu erziehen«, bemerkte der Abbé, »hatte sie also selbst Erziehung genossen? Ich glaubte von Edmund gehört zu haben, daß sie die Tochter eines einfachen Fischers, ein schönes, aber ungebildetes Mädchen gewesen sei.«
»Oh«, entgegnete Caderousse, »hat er denn seine eigene Braut so schlecht gekannt? Mercedes hätte Königin werden können, wenn die Krone nur den schönsten und klügsten Häuptern zukäme. Ihr Vermögen nahm zu, und ihre Bildung nahm mit dem Vermögen zu; sie lernte Zeichnen, lernte Musizieren, lernte alles. Übrigens glaube ich, unter uns, daß sie das alles nur tat, um sich zu zerstreuen und das Verlangen ihres Herzens zu betäuben. Aber jetzt«, fuhr Caderousse fort, »wird wohl alles gut geworden sein; Vermögen und Ehren haben sie jedenfalls getröstet. Sie ist reich, ist Gräfi n, und dennoch …«
Caderousse hielt inne.
»Dennoch, was?« fragte der Abbé.
»Dennoch bin ich überzeugt, daß sie nicht glücklich ist«, sagte Caderousse.
»Weshalb glauben Sie das?«
»Nun, als es mir allzu schlecht ging, dachte ich, daß mir meine alten Freunde etwas helfen würden. Ich ging zu Danglars, der mich nicht einmal empfi ng, ging auch zu Ferdinand, der mir durch seinen Kammerdiener hundert Franken übergeben ließ.«
»Dann sahen Sie also keinen von beiden?«
»Nein; aber Frau von Morcerf hat mich gesehen.«
»Wie das?«
»Als ich fortging, fi el eine Börse zu meinen Füßen; sie enthielt fünfundzwanzig Louisdors. Ich sah schnell auf und erkannte Mercedes, die das Fenster schloß.«
»Und Herr von Villefort?« fragte der Abbé.
»Oh, der war mein Freund nicht gewesen, den kannte ich nicht, und von dem hatte ich nichts zu erwarten.«
»Aber wissen Sie nicht, was aus ihm geworden ist und welchen Anteil er an Edmunds Unglück gehabt hat?«
»Nein, ich weiß nur, daß er einige Zeit darauf, nachdem er ihn hatte verhaften lassen, Fräulein von Saint-Méran geheiratet und Marseille bald verlassen hat. Jedenfalls hat ihm das Glück auch ge-lächelt wie den anderen; er ist reich wie Danglars, angesehen wie Ferdinand. Ich allein bin, wie Sie sehen, arm, elend und von Gott vergessen geblieben.«
»Sie irren sich, lieber Freund«, sagte der Abbé; »es mag zuweilen scheinen, als ob Gott vergäße, wenn seine Gerechtigkeit ruht; aber es kommt ein Augenblick, da er sich erinnert, und hier ist der Beweis dafür.«
Mit diesen Worten zog der Abbé den Diamanten aus der Tasche und überreichte ihn Caderousse, indem er sagte:
»Da, lieber Freund, nehmen Sie den Diamanten, denn er gehört Ihnen.«
»Wie, mir allein?« rief Caderousse. »O Herr, scherzen Sie nicht?«
»Dieser Diamant sollte unter seine Freunde verteilt werden; da Edmund nur einen einzigen Freund hatte, wird die Teilung überfl üssig. Nehmen Sie den Diamanten und verkaufen Sie ihn; ich wiederhole, er ist fünfzigtausend Franken wert, und die Summe wird hoff entlich hinreichen, um Sie aus dem Elend zu reißen.«
»O Herr«, sagte Caderousse, indem er scheu die eine Hand ausstreckte und sich mit der andern den Schweiß von der Stirn wischte, »o Herr, treiben Sie nicht mit dem Glück oder der Verzweifl ung eines Menschen Scherz!«
»Ich weiß, was Glück und was Verzweifl ung ist, und werde niemals mit diesen Gefühlen Scherz treiben. Nehmen Sie also, aber dafür …«
Caderousse, der
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