Der Graf von Monte Christo 1
begreifen wohl, alles dies verdoppelt seinen Schmerz, statt ihn zu lindern. Wäre der Arme allein, würde er sich eine Kugel durch den Kopf jagen.«
»Schrecklich!« sagte der Priester.
»Sehen Sie, so belohnt Gott die Tugend«, fuhr Caderousse fort.
»Sehen Sie mich an, der ich nie eine Schlechtigkeit begangen habe, außer dem, was ich Ihnen vorhin erzählte, ich sitze im Elend; wenn ich meine arme Frau am Fieber habe sterben sehen, ohne etwas für sie tun zu können, werde ich gleich Dantès’ Vater verhungern, während Ferdinand und Danglars sich im Golde wälzen.«
»Wie das?«
»Weil ihnen alles geglückt ist, während ehrlichen Leuten alles schiefgeht.«
»Was ist aus Danglars geworden, der ja wohl der Schuldigste, der Anstifter, war?«
»Was aus dem geworden ist? Er hat Marseille verlassen, ist auf die Empfehlung des Herrn Morrel hin, der von seinem Verbrechen nichts wußte, bei einem spanischen Bankier als Kommis eingetreten, hat zur Zeit des spanischen Kriegs einen Teil der Lieferungen für die französische Armee übernommen und sich etwas Vermögen geschaff t; mit diesem ersten Geld hat er dann spekuliert und sein Kapital verdreifacht und vervierfacht. Nach dem Tod seiner ersten Frau, der Tochter seines Bankiers, hat er dann eine Witwe, Frau von Nargonne, geheiratet, die Tochter des Herrn Servieux, eines Kammerherrn, der beim König sehr gut angeschrieben ist. Er ist Millionär geworden und nennt sich heute Baron Danglars, hat einen Palast in der Rue du Montblanc, zehn Pferde in seinen Ställen, sechs Lakaien in seinem Vorzimmer und ich weiß nicht wieviel Millionen in seiner Kasse.«
»Ah!« äußerte der Abbé mit sonderbarer Betonung. »Und ist er glücklich?«
»Hm, glücklich, wer kann das sagen? Glück oder Unglück sind das Geheimnis der vier Wände, die Ohren, aber keine Zunge haben; wenn man mit einem großen Vermögen glücklich ist, so ist Danglars glücklich.«
»Und Ferdinand?«
»Ferdinand, mit dem ist es wieder etwas anderes.«
»Aber wie hat ein armer katalonischer Fischer ohne Mittel und ohne Bildung reich werden können? Das übersteigt, off en gesagt, mein Begriff svermögen.«
»Das begreift auch kein Mensch; es muß in seinem Leben irgendein sonderbares Geheimnis geben, das niemand kennt.«
»Aber auf welchen sichtbaren Stufen hat er es denn zu so großem Vermögen oder so hoher Stellung gebracht?«
»Er hat beides, Vermögen und Stellung.«
»Sie erzählen mir da Märchen.«
»Die Sache sieht allerdings so aus; aber hören Sie, und Sie werden es begreifen.
Ferdinand war einige Tage vor der Rückkehr stellungspfl ichtig geworden. Die Bourbonen ließen ihn in seinem Dorf, aber Napoleon kehrte zurück, es wurde eine außergewöhnliche Aushebung verfügt, und Ferdinand mußte mit. Auch ich wurde eingezogen, da ich aber älter war als Ferdinand und kurz vorher meine arme Frau geheiratet hatte, so wurde ich nur an die Küste geschickt.
Ferdinand kam zu den aktiven Truppen, marschierte mit seinem Regiment an die Grenze und nahm an der Schlacht von Ligny teil.
In der Nacht nach der Schlacht hatte er Postendienst beim General, der in geheimer Beziehung zum Feind stand und in dieser Nacht zu den Engländern gehen wollte. Er schlug Ferdinand vor, ihn zu begleiten; Ferdinand willigte ein, verließ seinen Posten und folgte dem General.
Was ihn, wäre Napoleon auf dem Th
ron geblieben, vor ein
Kriegsgericht gebracht hätte, diente ihm bei den Bourbonen als Empfehlung. Er kehrte mit den Leutnantsepauletten nach Frankreich zurück, und da er von nun an stets die Protektion des sehr einfl ußreichen Generals genoß, war er bei Ausbruch des spanischen Kriegs Hauptmann, das heißt gerade damals, als Danglars seine ersten Spekulationen ausführte. Ferdinand war ein Spanier und wurde nach Madrid geschickt, um dort die Stimmung seiner Landsleute zu erkunden; er fand dort Danglars wieder, einigte sich mit diesem, versprach seinem General eine Stütze unter den Royalisten der Hauptstadt und der Provinzen, empfi ng Versprechungen, verpfl ichtete sich seinerseits, führte sein Regiment auf nur ihm allein bekannten Wegen durch die von Royalisten besetzten Pässe, kurz, leistete in diesem Feldzug solche Dienste, daß er nach Einnahme des Trocadero zum Obersten ernannt wurde und das Offi zierskreuz der Ehrenlegion mit dem Grafentitel empfi ng.«
»O Schicksal, Schicksal!« murmelte der Abbé.
»Ja, aber hören Sie, das ist noch nicht alles. Nach dem spanischen Krieg waren die Aussichten
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