Der Graf von Monte Christo 1
Franz geriet von einem Erstaunen in das andere. Die Tafel war prächtig ausgestattet; nachdem er sich von dieser Hauptsache überzeugt hatte, sah er sich um. Das Speisezimmer war nicht weniger prachtvoll als das Gemach, das er soeben verlassen hatte, es bestand ganz aus Marmor mit antiken Basreliefs von größtem Wert, und an beiden Enden dieses länglichen Saales trugen zwei prachtvolle Statuen Körbe mit Pyramiden erlesener Früchte auf den Köpfen.
Das Essen bestand aus einem gebratenen, mit korsischen Amseln umlegten Fasan, einem Wildschweinschinken in Gelee, einem Stück Ziegenbraten, einem prächtigen Steinbutt und einem rie-sigen Krebs. Zwischen den großen Schüsseln standen kleine mit Zwischengerichten. Die Schüsseln waren von Silber, die Teller von japanischem Porzellan.
Franz rieb sich die Augen, um sich zu vergewissern, daß er nicht träume.
Ali allein bediente und machte seine Sache sehr gut. Franz sagte seinem Wirt darüber ein Kompliment.
»Ja«, antwortete dieser, »der arme Teufel ist mir sehr ergeben und tut sein möglichstes. Er hat nicht vergessen, daß ich ihm das Leben gerettet habe, und da ihm, wie es scheint, viel an seinem Kopfe lag, hat er mir für dessen Erhaltung einige Dankbarkeit bewahrt.«
Ali trat an seinen Herrn heran und küßte ihm die Hand.
»Wäre es zu neugierig, Herr Sindbad«, sagte Franz, »zu fragen, unter welchen Umständen Sie diese schöne Tat vollbracht haben?«
»Lieber Gott, die Sache ist sehr einfach. Der gute Junge hatte sich in größerer Nähe bei dem Serail des Beys von Tunis umhergetrieben, als es einem Burschen seiner Farbe erlaubt ist, so daß der Bey ihm die Zunge, eine Hand und den Kopf abhacken lassen wollte, am ersten Tag die Zunge, am zweiten die Hand und am dritten den Kopf. Ich hatte mir immer einen stummen Diener gewünscht, wartete, bis die Zunge abgeschnitten war, und machte dem Bey den Vorschlag, ihn mir für eine prachtvolle zweiläufi ge Flinte zu geben, die am Tag vorher das Verlangen Seiner Hoheit erregt zu haben schien. Er zögerte einen Augenblick, sosehr lag ihm daran, mit diesem armen Teufel ein Ende zu machen; aber ich legte der Flinte ein englisches Jagdmesser bei, mit dem ich den Dolch Seiner Hoheit entzweigeschlagen hatte.
Der Bey schenkte ihm denn auch Hand und Kopf, aber unter der Bedingung, daß er nie wieder den Fuß auf tunesischen Boden setze.
Diese Bedingung war überfl üssig, denn sobald der Ungläubige die Küste Afrikas nur von fern erblickt, verkriecht er sich in den unter-sten Schiff sraum und ist nicht wieder daraus hervorzubringen, als bis der dunkle Erdteil außer Sichtweite ist.«
Franz verstummte einen Augenblick und dachte nach; er wußte nicht, was er von dem grausamen Humor, mit dem sein Wirt ihm dies erzählt hatte, halten sollte.
»Und wie der ehrenwerte Seemann, dessen Namen Sie angenommen haben, verbringen Sie Ihr Leben mit Reisen?« fragte er, die Unterhaltung auf ein anderes Gebiet lenkend.
»Ja, infolge eines Gelübdes, das ich zu einer Zeit getan habe, da ich kaum daran dachte, es erfüllen zu können«, entgegnete der Unbekannte lächelnd. »Ich habe noch einige dergleichen abgelegt, die sich hoff entlich, wenn die Reihe an sie kommt, alle erfüllen werden.«
Obgleich Sindbad diese Worte mit der größten Ruhe gesprochen hatte, fl ammte in seinen Augen eine seltsame Wildheit auf.
»Sie haben wohl viel gelitten?« fragte Franz.
Sindbad erbebte und sah ihn fest an.
»Woran Sehen Sie das?« fragte er zurück.
»An allem«, erwiderte Franz, »an ihrer Stimme, Ihrem Blick, Ihrer Blässe und selbst an dem Leben, das Sie führen.«
»Ich – ich führe das glücklichste Leben, das ich kenne, ein wahres Paschaleben; ich bin der König der Schöpfung. Gefällt es mir an einem Ort, so bleibe ich; langweile ich mich, so reise ich ab; ich bin frei wie ein Vogel und habe Flügel gleich einem solchen; die Leute, von denen ich umgeben bin, gehorchen mir auf den Wink. Von Zeit zu Zeit macht es mir Spaß, der Gerechtigkeit ein Schnippchen zu schlagen, indem ich ihr einen Banditen, den sie sucht, einen Verbrecher, den sie verfolgt, entreiße. Dann habe ich meine Justiz für mich, hohe und niedere, ohne Aufschub und ohne Berufung, die verurteilt oder freispricht und in die niemand sich einzumischen hat. Wenn Sie mein Leben gekostet hätten, möchten Sie kein anderes mehr führen und würden nie wieder in die Welt zurückkehren, falls Sie nicht irgendeinen großen Plan auszuführen hätten.«
»Eine Rache zum
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