Der Graf von Monte Christo 1
Ruderschlägen war die Barke am Ufer; der Patron sprang an Land und wechselte wieder leise einige Worte mit dem Posten; seine Gefährten stiegen einer nach dem anderen aus, dann endlich kam die Reihe an Franz.
Er hatte eins seiner Gewehre übergehängt, der Patron hatte das andere, einer der Matrosen hielt seinen Karabiner. Sein Anzug hatte etwas von dem eines Künstlers und eines Stutzers, so daß er den Wirten keinen Argwohn und infolgedessen keine Unruhe einfl öß-
te.
Man machte die Barke am Ufer fest und tat einige Schritte, um einen bequemen Lagerplatz zu suchen, aber der Punkt, nach dem man sich wandte, sagte dem Schmuggler, der auf Posten stand, jedenfalls nicht zu, denn er rief dem Patron zu:
»Bitte, nicht dahin.«
Der Patron stammelte eine Entschuldigung und ging nach der entgegengesetzten Richtung, während zwei Matrosen ans Feuer traten und Fackeln anzündeten, um den Weg zu beleuchten. Man ging ungefähr dreißig Schritt und gelangte zu einem kleinen, ganz von Felsen umgebenen Platz; in den Felsen waren Sitze ausgehöhlt.
In den Felsritzen sproßten Kräuter und dicke Myrtensträucher.
Franz untersuchte die Stelle mit einer Fackel und erkannte an einem Aschenhaufen, daß er nicht der erste war, der die Behaglichkeit dieses Platzes entdeckt hatte.
Nachdem er den Fuß an Land gesetzt und die, wenn nicht freund-schaftliche, so doch wenigstens gleichgültige Gesinnung seiner Wirte gesehen hatte, war seine Furcht geschwunden, und der Duft der im benachbarten Lager bratenden Ziege weckte seinen Appetit.
Er deutete das mit einigen Worten dem Patron an, der antwortete, daß es nichts Einfacheres gäbe, als ein Abendessen zu bereiten, wenn man, wie sie in ihrer Barke, Brot, Wein, sechs Rebhühner und ein gutes Feuer habe.
»Übrigens«, fügte er hinzu, »wenn Eure Exzellenz den Geruch des Ziegenbratens so verlockend fi nden, so kann ich unseren Nachbarn zwei von unseren Vögeln gegen eine Schnitte von ihrem Vierfüßler anbieten.«
»Tun Sie das, Gaetano«, sagte Franz.
Die Matrosen hatten unterdessen Heidekraut zusammengetra-gen, Myrten- und Grüneichenzweige daraufgelegt und ein tüchtiges Feuer angezündet. Franz, der noch immer den Duft des Bratens roch, erwartete mit Ungeduld die Rückkehr des Patrons, als dieser mit nachdenklicher Miene wieder erschien.
»Nun«, fragte Franz, »was Neues? Will man auf unser Anerbieten nicht eingehen?«
»Im Gegenteil«, antwortete Gaetano. »Der Führer, dem man gesagt hat, daß Sie ein junger Franzose seien, ladet Sie zum Abendessen ein.«
»Ein sehr höfl icher Mann, dieser Führer, und ich sehe nicht ein, warum ich es abschlagen sollte, besonders, da ich ja meinen Teil zum Essen mitbringe.«
»Oh, das ist’s nicht; er hat genug zu essen und mehr als das, aber er stellt für Ihren Eintritt bei ihm eine eigentümliche Bedingung.«
»Für meinen Eintritt bei ihm! Er hat sich also ein Haus bauen lassen?«
»Nein; aber er hat nichtsdestoweniger ein sehr behagliches Heim, wenigstens nach dem, was man sagt.«
»Sie kennen diesen Führer also?«
»Ich habe von ihm sprechen hören.«
»Gut oder schlecht?«
»Beides.«
»Teufel! Und was ist das für eine Bedingung?«
»Daß Sie sich die Augen verbinden lassen und die Binde nicht eher abnehmen, als bis er Sie dazu auff ordert.«
Franz forschte in dem Blick des Patrons, um zu erfahren, was sich hinter diesem Vorschlag verbarg.
»Ja, ja«, antwortete dieser auf den Gedankengang des jungen Mannes, »ich weiß wohl, die Sache will überlegt sein.«
»Was würden Sie an meiner Stelle tun?« fragte Franz.
»Ich, der ich nichts zu verlieren habe, würde hingehen, schon aus bloßer Neugier.«
»Es ist also bei dem Führer etwas zu sehen?«
»Hören Sie«, antwortete Gaetano im Flüstertone, »ich weiß nicht, ob es wahr ist, was man sagt …«
Er hielt inne und sah sich um, ob ihn auch niemand anders hör-te.
»Was sagt man denn?«
»Daß dieser Führer eine unterirdische Wohnung hat, gegen die der Palazzo Pitti gar nichts ist.«
»Welche Phantasie!« meinte Franz, indem er sich wieder setzte.
»Oh, es ist nicht nur Phantasie«, fuhr der Patron fort, »sondern Wirklichkeit! Cama, der Lotse des ›Sankt Ferdinand‹, ist einmal drin gewesen und sagt, daß es ähnliche Schätze nur in Märchen gäbe.«
»Sie wollen mir also erzählen, daß ich bei diesem Führer in die Höhle Ali Babas hinuntersteigen würde?« sagte Franz.
»Ich wiederhole nur, was man mir gesagt hat, Exzellenz.«
»Dann raten Sie
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