Der Graf von Monte Christo 1
Caderousse.
›Wir haben erst sehr spät zu Mittag gegessen‹, beeilte sich die Wirtin hinzuzusetzen.
›Dann soll ich also allein essen?‹ fragte der Juwelier.
›Wir werden Sie bedienen‹, antwortete die Wirtin.
Von Zeit zu Zeit warf Caderousse einen schnellen Blick auf sie.
Das Gewitter tobte weiter.
›Hören Sie, hören Sie?‹ sagte die Wirtin. ›Sie haben recht daran getan zurückzukommen.‹
›Wenn sich das Unwetter aber während des Essens legt, werde ich mich wieder auf den Weg machen‹, antwortete der Juwelier.
›Es ist der Mistral‹, warf Caderousse kopfschüttelnd ein, ›der dauert mindestens bis morgen.‹ Er seufzte.
Der Juwelier begann zu essen, und Caderousses Frau machte dabei die aufmerksame Wirtin; sie, die sonst so unfreundlich und übellau-nig war, war auf einmal die Aufmerksamkeit und Höfl ichkeit selbst.
Caderousse sagte kein Wort, er ging fortwährend auf und ab und schien seinen Gast nur mit Widerstreben anzusehen.
Als der Juwelier gegessen hatte, ging Caderousse an die Tür und öff nete sie.
›Ich glaube, das Wetter gibt sich‹, sagte er.
In diesem Augenblick aber machte ein furchtbarer Donnerschlag das Haus erbeben, ein Windstoß fegte den Regen ins Zimmer und blies die Lampe aus.
Caderousse schloß die Tür wieder, und seine Frau zündete an dem erlöschenden Feuer eine Kerze an.
›Da‹, sagte sie zu dem Juwelier, ›Sie müssen müde sein; ich habe das Bett frisch bezogen. Gehen Sie hinauf und schlafen Sie wohl!‹
Joannes blieb noch einen Augenblick, um sich zu vergewissern, daß das Unwetter sich nicht legte; da Donner und Regen nur stärker wurden, sagte er seinen Wirten gute Nacht und ging nach oben.
Ich hörte jede Treppenstufe unter seinen Füßen knarren. Die Wirtin sah ihm mit gierigen Augen nach, Caderousse dagegen wandte ihm den Rücken zu und blickte nicht einmal nach seiner Seite hin.
Alle diese Einzelheiten, die mir später wieder eingefallen sind, fi elen mir damals nicht weiter auf; was da vorging, war ja ganz natürlich, wenn mir auch die Geschichte mit dem Diamanten unwahrscheinlich vorkam.
Da mich die Müdigkeit überwältigte, beschloß ich, einige Stunden zu schlafen und mich mitten in der Nacht zu entfernen. In dem Zimmer über mir hörte ich den Juwelier seine Vorbereitungen zum Schlafengehen treff en und bald darauf das Bett unter ihm knarren.
Ich warf noch einen Blick in die Küche. Caderousse saß mit dem Rücken zu mir auf einer Bank an einem langen Tisch und hielt den Kopf in beiden Händen. Seine Frau sah ihren Mann eine Zeitlang an, zuckte die Schultern und setzte sich ihm gegenüber.
In diesem Augenblick ergriff die erlöschende Flamme noch einen Rest trockenen Holzes; der trübe Raum lag in etwas hellerem Licht.
Die Frau sah ihren Mann an, und da dieser in derselben Stellung verharrte, streckte sie ihre knöcherne Hand nach ihm aus und be-rührte ihn an der Stirn.
Caderousse erbebte. Mir war’s, als ob die Frau die Lippen bewegte; sei es nun aber, daß sie fl üsterte oder daß mich der Schlaf schon halb umfangen hielt, genug, ich hörte nichts. Endlich schlossen sich meine Augen, und ich schlief ein.
Ich lag im tiefsten Schlaf, als ich durch einen Pistolenschuß, dem ein furchtbarer Schrei folgte, geweckt wurde. Einige taumelnde Tritte ertönten auf dem Fußboden des Zimmers oben, und eine leblose Masse stürzte auf die Treppe gerade über mir. Ich war noch nicht völlig zu mir gekommen; ich hörte ein Stöhnen, dann erstickte Schreie, wie sie einen Kampf begleiten.
Ein letzter Schrei, der länger dauerte als die andern und in ein Ächzen ausklang, machte mich vollständig munter. Ich stützte mich auf einen Arm, öff nete die Augen, die in der Finsternis nichts sahen, und faßte nach der Stirn, da war mir, als ob es mir durch die Bretter der Treppe warm auf den Kopf rieselte.
Dem schrecklichen Lärm war die tiefste Stille gefolgt. Ich hör-te die Tritte eines Mannes über meinem Kopf; die Treppe knarrte; der Mann ging nach unten, trat an den Kamin und zündete eine Kerze an.
Dieser Mann war Caderousse; sein Gesicht war bleich und sein Hemd mit Blut bedeckt. Als er die Kerze angezündet hatte, ging er schnell wieder nach oben.
Einen Augenblick darauf kam er wieder herunter. Er hatte das Etui in der Hand, überzeugte sich, daß der Diamant darin war, und wickelte es darauf in sein rotes Taschentuch, das er um den Hals band.
Darauf lief er an den Schrank, nahm seine Banknoten und sein Gold, steckte alles in die
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