Der Graf von Monte Christo 1
Tasche, ergriff noch einige Hemden und lief durch die Tür davon. Da wurde mir alles klar; ich machte mir Vorwürfe, als ob ich der eigentlich Schuldige war. Es war mir, als ob ich noch Stöhnen hörte. Ich stemmte meine Schultern gegen eins der schlecht befestigten Bretter, es gab nach, und ich befand mich im Hause.
Ich ergriff das Licht und lief zur Treppe; ein Körper lag quer über die Treppe, es war die Leiche der Wirtin. Der Pistolenschuß hatte ihr gegolten; sie war in den Hals getroff en, das Blut rann aus beiden Schußlöchern und aus dem Munde.
Sie war tot. Ich sprang über den Leichnam und lief nach dem oberen Zimmer. Ich fand alles in der wildesten Unordnung. Einige Möbel waren umgestürzt, das Laken, an dem der unglückliche Juwelier sich festgehalten hatte, war durch das Zimmer gezogen, er selbst lag auf dem Boden, den Kopf an die Wand gestützt, in einer Blutlache. Das Blut strömte ihm aus drei großen Wunden in der Brust, in einer vierten steckte ein langes Küchenmesser, von dem nur der Griff zu sehen war. Ich trat auf die zweite Pistole, die nicht los-gegangen war, off ensichtlich, weil das Pulver feucht geworden war.
Ich näherte mich dem Juwelier; er war noch nicht tot, denn bei dem Geräusch, das ich machte, und bei der Erschütterung des Fußbodens öff nete er die verstörten Augen, vermochte sie einen Augenblick auf mich zu heften, bewegte die Lippen, als ob er sprechen wollte, und verschied.
Dieser schreckliche Anblick hatte mich fast besinnungslos gemacht; als ich sah, daß ich niemand mehr Hilfe bringen konnte, fühlte ich nur das eine Verlangen: zu fl iehen. Ich stürzte nach der Treppe, während ich mir das Haar raufte und vor Entsetzen Schreie ausstieß.
Im untern Raum befanden sich fünf oder sechs Zollwächter und einige Gendarmen. Man bemächtigte sich meiner; ich versuchte nicht einmal Widerstand zu leisten, ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Ich wollte sprechen, stieß aber nur einige unartikulierte Laute hervor.
Da ich sah, daß die Zollwächter und Gendarmen mit Fingern auf mich wiesen, sah ich an mir herunter; ich war ganz mit Blut bedeckt. Jener warme Regen, den ich durch die Planken der Treppe hatte rieseln fühlen, war das Blut der Wirtin gewesen.
Ich zeigte mit den Fingern nach der Stelle, wo ich versteckt gewesen war.
›Was will er sagen?‹ fragte der Gendarm.
Ein Zollwächter sah nach.
›Er will sagen, daß er da hereingekommen ist.‹ Und er zeigte die Öff nung, durch die ich tatsächlich ins Haus gekommen war.
Da begriff ich, daß man mich für den Mörder hielt, und fand meine Stimme und meine Kraft wieder. Ich machte meine Hände los und schrie: ›Ich war’s nicht, ich war’s nicht!‹
Zwei Gendarmen legten ihre Karabiner auf mich an.
›Wenn du dich rührst, bist du des Todes‹, sagten sie.
›Ich wiederhole nochmals, daß ich es nicht gewesen bin‹, rief ich.
›Deine Geschichte kannst du den Richtern in Nîmes vortra-gen‹, sagten sie. ›Jetzt folge uns; und wir raten dir gut, leiste keinen Widerstand.‹
Das war auch nicht meine Absicht; das Staunen und der Schrecken hatten mich übermannt. Man legte mir Handschellen an, band mich an den Schwanz eines Pferdes und führte mich nach Nîmes.
Ein Zollwächter war mir bei meiner Flucht von der Rhône gefolgt, hatte mich in der Nähe des Hauses aus dem Gesicht verloren und in der Annahme, daß ich die Nacht dort zubringen wür-de, seine Kameraden benachrichtigt. Sie waren gerade zeitig genug gekommen, um den Schuß zu hören und mich festzunehmen. Der Anschein sprach dafür, daß ich der Täter war, und ich begriff , wie schwer es sein würde, meine Unschuld zu beweisen.
Ich bat sofort den Untersuchungsrichter, einen gewissen Abbé Busoni suchen zu lassen, der an jenem Tag in dem Wirtshaus an der Landstraße eingekehrt sei. Hatte Caderousse eine Geschichte erfunden und existierte dieser Abbé nicht, so war ich off enbar verloren, falls nicht Caderousse ergriff en wurde und alles gestand.
Zwei Monate verfl ossen, während deren, das muß ich zum Lob meiner Richter sagen, alles getan wurde, um den Aufenthalt des Abbés Busoni festzustellen. Ich hatte schon alle Hoff nung verloren, Caderousse war nicht ergriff en worden, als am achten September, das heißt, drei Monate und fünf Tage nach dem Ereignis, der Abbé Busoni im Gefängnis erschien. Er habe, sagte er, in Marseille erfahren, daß ein Gefangener ihn zu sprechen wünsche, und sei hergeeilt.
Sie können sich denken, wie freudig ich
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