Der Graf von Monte Christo 1
schlecht auch die königliche Polizei ist, so weiß sie doch etwas sehr Gefährliches.«
»Nun?«
»Das Signalement des Mannes, der am Morgen des Tages, an dem der General Quesnel verschwunden ist, zu ihm gekommen ist.«
»So, das weiß die gute Polizei? Und wie ist das Signalement?«
»Braune Gesichtsfarbe, schwarze Haare, schwarze Augen, schwarzer Backenbart, bis unters Kinn zugeknöpfter blauer Überrock, die Offi ziersrosette der Ehrenlegion im Knopfl och, breitrandiger Hut, einen Rohrstock in der Hand.«
»Ha, ha! Das weiß sie?« sagte Noirtier. »Und warum hat sie sich dieses Mannes nicht versichert?«
»Weil sie ihn gestern oder vorgestern an der Ecke der Rue Coq-Héron aus den Augen verloren hat.«
»Ich sagte dir ja, daß eure Polizei dumm ist.«
»Aber sie kann ihn jeden Augenblick fi nden.«
»Ja«, sagte Noirtier, sich ruhig umsehend, »wenn dieser Mann nicht gewarnt ist, aber das ist er, und«, fügte er lächelnd hinzu, »er wird sein Gesicht und seine Kleider wechseln.«
Bei diesen Worten erhob er sich, legte Überrock und Krawatte ab, ging an einen Tisch, auf dem die für die Toilette seines Sohnes nötigen Gegenstände lagen, nahm ein Rasiermesser, seifte sein Gesicht ein und rasierte mit fester Hand den Backenbart ab, der für die Polizei ein so wertvolles Erkennungszeichen war.
Villefort betrachtete ihn mit einem Entsetzen, das nicht ohne Bewunderung war.
Nachdem sein Bart abrasiert war, veränderte Noirtier seine Haar-tracht, nahm statt der schwarzen Krawatte eine farbige, die in einem geöff neten Koff er lag, zog statt des blauen Überrocks einen weiten braunen von Villefort an und probierte vor dem Spiegel den Hut mit aufgeschlagener Krempe, der dem jungen Mann gehörte. Er schien mit seinem Äußern zufrieden zu sein und ließ in seiner ner-vigen Hand ein Spazierstöckchen, das der elegante Staatsanwalt zu benutzen pfl egte, durch die Luft pfeifen.
»Nun«, wandte er sich dann an seinen verblüff ten Sohn, »glaubst du, daß deine Polizei mich jetzt erkennt?«
»Nein, Vater«, antwortete Villefort; »ich hoff e wenigstens nicht.«
»Jetzt, mein lieber Gérard«, fuhr Noirtier fort, »verlasse ich mich auf deine Klugheit, um alle diese Sachen, die ich in deiner Obhut zurücklasse, verschwinden zu lassen.«
»Oh, seien Sie unbesorgt, Vater«, antwortete Villefort.
»Und jetzt glaube ich, daß du recht hast und daß du mir in der Tat das Leben gerettet haben könntest; doch sei unbesorgt, ich werde dir demnächst den gleichen Dienst erweisen.«
Villefort warf den Kopf in die Höhe.
»Du glaubst es nicht?«
»Ich hoff e wenigstens, daß Sie sich irren.«
»Siehst du den König nochmals?«
»Vielleicht.«
»Willst du in seinen Augen für einen Propheten gelten?«
»Die Unglückspropheten sind bei Hof unwillkommene Gäste, Vater.«
»Aber früher oder später erweist man ihnen Gerechtigkeit; und nimm an, daß eine zweite Restauration eintritt, dann wirst du für einen großen Mann gelten.«
»Und was sollte ich dem König sagen?«
»Sag ihm folgendes: Sire, man täuscht Sie über die Stimmung Frankreichs, über die Haltung der Städte und den Geist der Armee; derjenige, den sie in Paris den korsischen Menschenfresser nennen, der noch in Nevers Usurpator genannt wird, nennt sich schon Bonaparte in Lyon und Kaiser in Grenoble. Sie wähnen ihn verfolgt, gehetzt, auf der Flucht; er marschiert geschwind wie der Adler, den er mitbringt. Die Soldaten strömen ihm von allen Seiten zu. Reisen Sie ab, Sire; überlassen Sie Frankreich seinem wahren Herrn, demjenigen, der es nicht gekauft, sondern erobert hat; reisen Sie ab, Sire.
Nicht, daß Sie irgendwelche Gefahr liefen – Ihr Gegner ist stark genug, Gnade zu üben –, sondern weil es für den Nachkommen Ludwigs des Heiligen demütigend wäre, sein Leben dem Manne von Arcole, Marengo und Austerlitz zu verdanken! – Sag ihm das, Gérard; oder vielmehr sage ihm nichts; verbirg deine Reise, rühme dich nicht dessen, was du in Paris hast machen wollen und gemacht hast, sondern fahre schneller, als du gekommen, nach Marseille zu-rück, verhalte dich ganz ruhig, ganz demütig, denn diesmal werden wir als starke Männer handeln, die ihre Feinde kennen. Geh, mein Sohn, geh, mein lieber Gérard, und in Anbetracht solchen Gehorsams gegen die väterlichen Befehle oder, wenn du lieber willst, solcher Achtung vor dem Rate eines Freundes, werden wir dich auf deinem Platze halten. Es wird das«, fügte Noirtier lächelnd hinzu,
»für dich
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