Der Graf von Monte Christo 1
Augen, dicke Brauen und einen schwarzen Backenbart.«
»Und wie ist er gekleidet?« fragte Villefort lebhaft.
»Er trägt einen großen blauen Überrock, zugeknöpft von oben bis unten, mit dem Kreuz der Ehrenlegion.«
»Das ist er!« murmelte Villefort erblassend.
Der Mann, von dem die Rede war, erschien in diesem Augenblick auf der Türschwelle.
»Zum Teufel«, sagte er, »was sind das für Umstände? Ist es in Marseille Sitte, daß die Söhne ihre Väter im Vorzimmer warten lassen?«
»Mein Vater!« rief Villefort. »Ich habe mich also nicht geirrt; ich vermutete, daß Sie es wären!«
»Wenn du das vermutet hast«, entgegnete der Ankömmling, indem er seinen Stock in einen Winkel stellte und den Hut auf einen Sessel legte, »so erlaube ich mir, dir zu sagen, mein lieber Gérard, daß es von dir nicht liebenswürdig ist, mich so lange warten zu lassen.«
»Verlaß uns, Germain!« sagte Villefort.
Der Bediente ging sichtlich erstaunt.
V S
Herr Noirtier sah dem Diener nach, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte; dann ging er nach der Tür und öff nete sie wieder.
Die Vorsicht war nicht unnütz, wie die Schnelligkeit bewies, mit welcher der Kammerdiener sich zurückzog. Herr Noirtier machte sich dann die Mühe, die Vorzimmertür selbst zu verschließen; ebenso verschloß er die Tür des Schlafzimmers, schob die Riegel vor und kam dann zurück und reichte Villefort, der das alles in größter Überraschung mit angesehen hatte, die Hand.
»Weißt du wohl, mein lieber Gérard«, sagte er zu dem jungen Mann, indem er ihn mit einem Lächeln ansah, dessen Ausdruck schwer zu bestimmen war, »daß es so scheint, als wärest du nicht sehr erfreut, mich zu sehen?«
»O doch, Vater«, entgegnete Villefort, »ich freue mich sehr; aber ich war so wenig auf Ihren Besuch gefaßt, daß er mich etwas verwirrt hat.«
»Nun, mein Lieber«, sagte Herr Noirtier, indem er sich setzte,
»ich glaube, ich könnte dir dasselbe sagen. Du kündigst mir deine Verlobung in Marseille für den achtundzwanzigsten Februar an, und am dritten März bist du in Paris!«
»Wenn ich hier bin, Vater«, antwortete Gérard, an Herrn Noirtier herantretend, »so beklagen Sie sich nicht darüber, denn Ihretwegen bin ich hierhergekommen, und diese Reise wird Sie vielleicht retten.«
»So«, meinte Herr Noirtier, indem er sich nachlässig in dem Fauteuil ausstreckte. »So erzähle mir doch, Herr Beamter, das muß drollig sein.«
»Vater, Sie haben von einem bonapartistischen Klub gehört, der in der Rue Saint-Jacques seinen Sitz hat?«
»Nummer dreiundfünfzig? Jawohl, ich bin dort Vizepräsident.«
»Vater, Ihre Kaltblütigkeit macht mich zittern.«
»Warum denn, mein Lieber? Wenn man von der Bergpartei geächtet worden ist, auf einem Heuwagen aus Paris gefl ohen und von den Polizeispionen Robespierres in der Heide von Bordeaux gehetzt worden ist, so hat einen das an vieles gewöhnt. Fahre also fort. Was hat sich also in diesem Klub in der Rue Saint-Jacques zugetragen?«
»Es hat sich dort zugetragen, daß man den General Quesnel hinbe-stellt hat und daß der General, der um neun Uhr abends von Hause fortging, am übernächsten Tag aus der Seine gezogen worden ist.«
»Und wer hat dir diese schöne Geschichte erzählt?«
»Der König selbst, mein Herr.«
»Nun wohl, ich will dir für deine Geschichte eine andere erzählen«, fuhr Noirtier fort.
»Vater, ich glaube schon zu wissen, was Sie mir sagen werden.«
»Ah, du hast schon von der Landung Seiner Majestät des Kaisers gehört?«
»Still, Vater, ich bitte Sie, erstens um Ihretwillen und dann um meinetwillen. Ja, ich wußte diese Neuigkeit und wußte sie sogar eher als Sie, denn seit drei Tagen fahre ich, so schnell die Pferde nur laufen können, auf der Straße von Marseille nach Paris, um die Nachricht zu überbringen.«
»Seit drei Tagen! Bist du toll? Vor drei Tagen war der Kaiser noch nicht gelandet.«
»Einerlei, ich wußte um den Plan.«
»Und wie das?«
»Durch einen Brief, der von der Insel Elba an Sie adressiert war.«
»An mich?«
»An Sie, und den ich in der Tasche des Boten abgefangen habe.
Wäre dieser Brief in andere Hände gefallen, so würden Sie jetzt vielleicht füsiliert, Vater.«
Der Vater schlug ein Gelächter an.
»Ha, ha, die Restauration scheint von dem Kaiserreich gelernt zu haben, schnell zu handeln … Füsiliert, mein Lieber, halb so wild!
Und der Brief, wo ist er? Ich kenne dich zu gut, um zu
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