Der Graf von Monte Christo 1
Gefangenen, der nicht frei sein konnte.«
Und Faria streckte den Arm, den er noch gebrauchen konnte, nach dem jungen Manne aus, der ihm weinend um den Hals fi el.
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Jetzt, da der Schatz, mit dem sich der Abbé solange in Gedanken beschäftigt hatte, das künftige Glück dessen, den er wie einen Sohn liebte, sichern konnte, hatte er in seinen Augen noch größeren Wert erhalten. Jeden Tag erging er sich über die Höhe dieses Schatzes und setzte Dantès auseinander, wieviel Gutes man in unserer Zeit mit dreizehn oder vierzehn Millionen seinen Freunden tun könne; dann verfi nsterte sich Dantès’ Gesicht, denn dieser gedachte seines Racheschwurs und wieviel Böses man mit einem solchen Vermögen seinen Feinden antun könne.
Der Abbé kannte die Insel Monte Christo nicht, Dantès aber kannte sie: Sie lag zwischen der Insel Elba und Korsika; er war oft daran vorbeigefahren und hatte auch einmal dort angelegt.
Diese Insel war stets und ist noch heute gänzlich unbewohnt, ein öder kegelförmiger Felsen, den ein vulkanischer Ausbruch aus der Tiefe an die Oberfl äche des Meeres heraufgetrieben hat.
Dantès entwarf dem Abbé den Plan der Insel, und Faria gab ihm Ratschläge über die Maßnahmen, den Schatz aufzufi nden.
Aber Dantès war bei weitem nicht so zuversichtlich wie der Greis; gewiß war er jetzt sicher, daß Faria nicht irrsinnig war, und die Art, wie dieser zu der Entdeckung gekommen war, hatte die Bewunderung des jungen Mannes für ihn noch erhöht; aber er konnte nicht glauben, daß, selbst wenn dieser Schatz wirklich einmal vorhanden gewesen war, er sich jetzt noch dort befand.
Als ob aber das Schicksal den Gefangenen ihre letzte Hoff nung nehmen und ihnen hätte zu verstehen geben wollen, daß sie zu ewi-gem Kerker verurteilt seien, trat ein neues Unglück für sie ein: die Außengalerie, die seit langer Zeit baufällig war, wurde neu herge-richtet; die Mauern wurden ausgebessert und das von Dantès schon halb wieder ausgefüllte Loch mit großen Bruchsteinen verstopft.
Ohne diese dem jungen Mann von Faria geratene Vorsichtsmaßregel wäre das Unglück noch weit größer gewesen, denn man hätte ihre Fluchtvorbereitungen entdeckt und sie unfehlbar getrennt.
»Sie sehen wohl«, sagte der junge Mann zu Faria, »daß Gott mir sogar das Verdienst dessen nehmen will, was Sie meine selbstlo-se Hingabe für Sie nennen. Ich habe Ihnen versprochen, ewig bei Ihnen zu bleiben, und kann jetzt gar nicht mehr in die Lage kommen, mein Versprechen nicht zu halten; ich werde den Schatz ebensowenig besitzen wie Sie, und wir werden beide nicht von hier fortkommen. Übrigens ist mein wahrer Schatz ja nicht der auf Monte Christo vergrabene, sondern es ist Ihre Gegenwart, unser tägliches Zusammensein trotz der Wärter, es ist alles das, was Sie mich gelehrt haben; das ist mein Schatz, damit haben Sie mich reich und glücklich gemacht. Glauben Sie mir, das ist für mich mehr wert als Tonnen Goldes und Haufen von Diamanten. Daß Sie bei mir sind, daß Ihre beredte Stimme mich belehrt, meinen Geist bildet und meine Seele stärkt und großer und schrecklicher Dinge fähig macht, für den Fall, daß ich je wieder frei werde, so daß die Verzweifl ung, der ich mich zu überlassen im Begriff stand, als ich Sie kennenlernte, keinen Platz mehr in meiner Brust fi ndet, das ist mein Vermögen, und alle Fürsten der Erde würden es mir nicht entreißen können.«
Waren so die folgenden Tage für die beiden Gefangenen auch nicht glücklich, so gingen sie doch ziemlich schnell dahin. Faria, der so lange Jahre hindurch über seinen Schatz Stillschweigen bewahrt hatte, sprach jetzt bei jeder Gelegenheit davon. Wie er vorausgesehen hatte, war er am rechten Arm und am linken Bein gelähmt geblieben und hatte nun fast alle Hoff nung verloren, seinen Schatz selbst genießen zu können; aber er träumte für seinen jungen Genossen stets von Befreiung oder Flucht und genoß für ihn den Schatz. Aus Furcht, daß der Brief einmal abhanden kommen könnte, hatte er ihn Dantès auswendig lernen lassen. Dann hatte er die Ergänzung des Briefes vernichtet. Stundenlang gab Faria dem jungen Mann Anweisungen für die Zeit, da er frei sein würde: Er sollte sich sofort nach Monte Christo begeben, dort unter irgendeinem keinen Argwohn erregenden Vorwand allein bleiben, die Grotten aufsuchen und an der bezeichneten Stelle nachgraben.
Faria hatte seine ganze Geistesschärfe wiedererlangt und allmählich seinen
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