Der Graf von Monte Christo 1
setzte sich zu Tisch; Spada hatte seinen Neff en nur fragen können: »Hast du meine Mitteilung erhalten?« Der Neff e verneinte und begriff vollständig den Sinn dieser Frage; es war zu spät, denn er hatte soeben ein Glas ausgezeichneten Weins getrunken, den der Kellermeister des Papstes für ihn beiseite gestellt hatte. Spada sah ihn in demselben Augenblick eine andere Flasche bringen, aus der man ihm freigebig anbot. Eine Stunde darauf erklärte ein Arzt sie alle beide durch giftige Morcheln vergiftet. Spada starb auf der Schwelle des Weinbergs, der Neff e gab den Geist an seiner Tür auf, indem er ein Zeichen machte, das seine Frau nicht verstand.
Cesare und der Papst beeilten sich sofort, das Erbe an sich zu rei-
ßen, unter dem Vorwand, die Papiere der Verstorbenen zu prüfen.
Aber das Erbe bestand in folgendem: einem Stück Papier, auf das Spada geschrieben hatte:
»Ich vermache meinem geliebten Neff en meine Koff er und meine Bücher, darunter mein schönes Brevier mit goldenen Ecken, und wünsche, daß er dieses als Andenken an seinen liebenden Onkel aufbewahre.«
Die Erben suchten überall, bewunderten das Brevier, durchsuch-ten die Möbel und wunderten sich, daß Spada, der reiche Mann, tatsächlich der ärmste Onkel war; von Schätzen keine Spur, es seien denn die in der Bibliothek enthaltenen Schätze der Wissenschaft.
Das war alles. Cesare und sein Vater suchten, wühlten und spio-nierten; man fand nichts oder wenigstens sehr wenig: für vielleicht tausend Taler Goldschmiedearbeiten und für ebensoviel gemünztes Geld. Aber der Neff e hatte währenddessen Zeit gehabt, beim Nachhausekommen zu seiner Frau zu sagen:
»Suche unter den Papieren meines Onkels, es ist ein wirkliches Testament da.«
Man suchte noch sorgfältiger als die erhabenen Erben; es war vergeblich. Es blieben zwei Paläste und ein Weinberg hinter dem Palatin. Aber zu jener Zeit hatten Grundstücke nur einen mäßigen Wert; die beiden Paläste und der Weinberg blieben der Familie als unwürdig der Habsucht des Papstes und seines Sohnes.
Monate, Jahre vergingen. Nach dem Tode des Papstes und dem Exil seines Sohnes erwartete man allgemein, daß die Familie die Lebensführung wie zur Zeit des Kardinals Spada fortsetzen werde; das geschah aber nicht. Die Spadas blieben in mittelmäßigen wirt-schaftlichen Verhältnissen. Ein ewiges Geheimnis ruhte auf dieser dunklen Geschichte, und das Gerücht meinte, daß Cesare, der ein besserer Politiker als sein Vater war, dem Papst das Vermögen der beiden Kardinäle weggenommen habe; ich sage der beiden, weil der Besitz des Kardinals Rospigliosi, der keine Vorsichtsmaßregeln getroff en hatte, vollständig geplündert worden war …‹
Bis so weit«, unterbrach sich Faria lächelnd, »erscheint Ihnen dieses nicht zu unsinnig, nicht wahr?«
»Oh, mein Freund«, antwortete Dantès, »es ist mir vielmehr, als ob ich eine hochinteressante Chronik läse. Bitte fahren Sie fort.«
»Ich fahre fort:
Die Familie fand sich damit ab, größtenteils in Armut zu leben.
Die Jahre verfl ossen; unter den Nachkommen waren die einen Soldaten, die anderen Diplomaten; diese Diener der Kirche, jene Bankiers; einige wurden wieder reich, die andern ruinierten sich gänzlich. Ich komme zu dem letzten der Familie, demjenigen, dessen Sekretär ich war, zu dem Grafen von Spada.
Ich hatte ihn sehr oft über das Mißverhältnis seines Vermögens zu seinem Range klagen hören; ich gab ihm deshalb den Rat, das Wenige, was ihm blieb, in einer Leibrente anzulegen. Er befolgte den Rat und verdoppelte so sein Einkommen.
Das erwähnte Brevier war in der Familie geblieben und gehörte zur Zeit dem Grafen von Spada; man hatte es vom Vater auf den Sohn bewahrt, denn die sonderbare Klausel des einzigen aufgefun-denen Testaments hatte es zu einer wahren Reliquie gemacht, die mit abergläubischer Verehrung in der Familie hochgehalten wurde.
Es war ein mit den schönsten gotischen Buchstaben ausgemaltes Buch und so schwer von Gold, daß es bei großen Festlichkeiten von einem Diener dem Kardinal vorangetragen worden war.
Der Anblick der Papiere aller Art, Urkunden, Kontrakte, Perga-mente, die man in den Archiven der Familie aufbewahrte und die alle von dem vergifteten Kardinal herstammten, reizte auch mich dazu, wie vielleicht zwanzig Intendanten und Sekretäre vor mir, die gewaltigen Aktenstöße durchzustöbern; trotz meines eifrigen Suchens fand ich nichts.
Indessen hatte ich mich jedoch mit der Familie Borgia
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