Der Graf von Monte Christo 1
Spada.«
Faria wandte kein Auge von ihm.
»Und jetzt«, sagte er, als er gesehen hatte, daß Dantès bei der letzten Zeile angekommen war, »halten Sie beide Bruchstücke zusammen und urteilen Sie selbst.«
Dantès gehorchte; die beiden zusammengehaltenen Bruchstücke gaben folgendes Ganze:
»Am gegenwärtigen Tage, dem . April , da ich von Seiner Heiligkeit Alexander VI. zu Tisch geladen bin und fürchte, daß er, nicht zufrieden damit, daß er mich den Kardinalshut hat bezahlen lassen, mich auch beerben und mir das Schicksal der an Gift gestorbenen Kardinäle Caprara und Bentivoglio bereiten will, erkläre ich meinem Neff en Guido Spada, meinem Universalerben, daß ich an einem Orte, den er kennt, weil er denselben mit mir besucht hat, das heißt in den Grotten der kleinen Insel Monte Christo, alles vergraben habe, was ich an Barren, gemünztem Gelde, Edelsteinen, Diamanten und Kleinodien besaß, daß ich allein die Existenz dieses Schatzes kenne, der sich auf ungefähr zwei Millionen römische Taler belaufen kann und den er fi nden wird, wenn er, von dem kleinen Hafen an der Ostseite in gerader Richtung ab gerechnet, den zwanzigsten Felsen aufhebt. Zwei Öff nungen sind in diese Grotten gearbeitet; der Schatz befi ndet sich in dem entferntesten Winkel der zweiten. Diesen Schatz vermache ich ihm, als meinem einzigen Erben, zum ausschließlichen Eigentum.
Am . April .
Cesare † Spada.«
»Nun, verstehen Sie endlich?« fragte Faria.
»Dies war die Erklärung des Kardinals Spada und das so lange ge-suchte Testament?« entgegnete Edmund noch immer ungläubig.
»Ja, und tausendmal ja!«
»Wer hat es so ergänzt?«
»Ich, der ich mit Hilfe des übriggebliebenen Fragments den Rest erraten habe, indem ich die Länge der Zeilen nach der des Papiers maß.«
»Und was haben Sie getan, nachdem Sie diese Entdeckung gemacht hatten?«
»Ich bin sofort abgereist und habe den Anfang meiner großen Arbeit über die Einheit Italiens mitgenommen; aber die kaiserliche Polizei, die – im Gegensatz zu dem, was Napoleon später, als ihm ein Sohn geboren wurde, gewollt hat – die Teilung der Provinzen wollte, hatte mich im Auge; meine schnelle Abreise, deren Ursache zu erraten sie weit entfernt war, erweckte ihren Argwohn, und in dem Augenblick, wo ich mich zu Piombino einschiff te, wurde ich verhaftet.«
»Jetzt«, fuhr Faria fort, indem er Dantès mit väterlichem Ausdruck ansah, »jetzt, mein Freund, wissen Sie ebensoviel wie ich; wenn wir je zusammen entfl iehen, so gehört Ihnen die Hälfte meines Schatzes; wenn ich hier sterbe und Sie allein entfl iehen sollten, ge-hört er Ihnen ganz.«
»Aber«, fragte Dantès zögernd, »gibt es niemand, der mehr Recht auf den Schatz hat als wir?«
»Nein, nein, beruhigen Sie sich, die Familie ist ausgestorben; der letzte Graf Spada hat mich zudem zu seinem Erben gemacht; indem er mir das symbolische Brevier vermachte, vermachte er mir, was es enthielt. Sie können ruhig sein: Wenn wir die Hand auf dieses Vermögen legen, können wir es ohne Gewissensbisse genießen.«
»Und Sie sagen, der Schatz enthielte …«
»Zwei Millionen römische Taler, ungefähr dreizehn Millionen in unserem Geld.«
»Unmöglich!« rief Dantès, durch diese ungeheure Zahl erschreckt.
»Unmöglich! Und weshalb?« entgegnete der Greis. »Die Familie Spada war eine der ältesten und mächtigsten des fünfzehnten Jahrhunderts. Zudem sind in jenen Zeiten diese Anhäufungen von Gold und Juwelen nicht selten; es gibt noch heute römische Familien, die mit einer Million in Diamanten und Geschmeide, die ihnen als Majorat zugefallen sind und die sie nicht anrühren können, vor Hunger sterben.«
Edmund glaubte zu träumen; er schwankte zwischen Ungläubigkeit und Freude.
»Ich habe«, fuhr Faria fort, »das Geheimnis nur darum so lange vor Ihnen gehütet, um Sie erst zu erproben und dann zu überraschen.
Wären wir vor meinem Schlaganfall entwichen, so hätte ich Sie nach Monte Christo geführt; jetzt«, setzte er seufzend hinzu, »werden Sie mich dorthin führen. Nun, Dantès, Sie danken mir nicht?«
»Dieser Schatz gehört Ihnen, mein Freund«, erwiderte Dantès.
»Ihnen allein, und ich habe kein Recht darauf, ich bin nicht Ihr Verwandter.«
»Sie sind mein Sohn, Dantès!« rief der Greis. »Sie sind das Kind meiner Gefangenschaft. Mein Stand verurteilt mich zur Ehelosigkeit: Gott hat Sie mir geschickt, um den Mann zu trösten, der nicht Vater sein konnte, und den
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