Der Graf von Monte Christo 1
als das weichste Bett.
Trotz Wind und Sturm und trotz des Regens, der zu fallen begann, schlief er ein, körperlich zu Tode erschöpft, aber die Seele von Jubel erfüllt.
Nach einer Stunde erwachte Edmund unter dem Grollen eines gewaltigen Donnerschlags. Der Sturm war entfesselt; von Zeit zu Zeit fuhr wie eine Feuerschlange ein Blitz hernieder und beleuchtete die Fluten und die Wolken, die wie die Wogen eines ungeheuren Chaos übereinanderzurollen schienen.
Dantès’ Seemannsauge hatte sich nicht getäuscht; er war in der Tat auf der Insel Tiboulen gelandet. Er wußte, daß sie wüst und gegen das Meer ungeschützt war und nicht die geringste Zufl ucht bot; wenn sich aber das Unwetter gelegt hatte, wollte er nach der Insel Lemaire schwimmen, die ebenso öde, aber größer und deshalb gastlicher war.
Ein überhängender Felsen bot ihm für den Augenblick Schutz; kaum hatte er sich darunter gefl üchtet, so brach das Unwetter in seiner ganzen Wut los.
Edmund fühlte den Felsen, unter dem er sich barg, zittern; die Wellen brachen sich an der gigantischen Pyramide und zischten bis zu ihm hinauf. Obgleich er in Sicherheit war, wurde er doch inmitten dieses Getöses und der grellen Blitzstrahle von einer Art Schwindel erfaßt; es war ihm, als ob die Insel unter ihm zitterte und wie ein vom Anker gerissenes Fahrzeug im nächsten Augenblick ein Spielball dieses brausenden Gewoges sein Würde.
Da fi el ihm ein, daß er seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte: Er hatte Hunger und Durst.
Dantès streckte die Hände und den Kopf aus und trank das Wasser, das vom Himmel niederstürzte, aus einer Aushöhlung des Felsens.
Als er sich erhob, erhellte ein Blitzstrahl den Raum, und bei dessen Schein sah Dantès zwischen der Insel Lemaire und dem Kap Croiselle, einem von der Höhe einer Woge in einen Abgrund glei-tenden Gespenst gleich, ein kleines Fischerfahrzeug von Sturm und Wogen dahergejagt kommen; eine Sekunde darauf erschien das Phantom auf dem Kamm einer neuen Woge wieder und näherte sich mit unglaublicher Schnelligkeit. Dantès wollte rufen, er suchte einen Leinwandlumpen, um ihnen ein Zeichen zu geben, daß sie zugrunde gehen müßten, aber sie sahen das selbst. Beim Glanz eines neuen Blitzes sah Dantès vier Männer, die sich an die Masten und Taue klammerten; ein fünfter hielt sich an dem Helmstock des zerbrochenen Steuers fest. Diese Männer sahen ihn jedenfalls auch, denn durch den Aufruhr der Elemente hindurch drangen verzweifelte Schreie an sein Ohr. Über dem wie ein Rohr gebogenen Mast peitschte ein zerfetztes Segel in der Luft; plötzlich zerrissen die Taue, die es noch hielten, und es verschwand in den fi nsteren Tiefen des Himmels.
Zu gleicher Zeit ließ sich ein entsetzliches Krachen vernehmen, und Verzweifl ungsschreie drangen zu Dantès. Ein Blitz zeigte ihm das kleine Fahrzeug zerbrochen, unter den Trümmern Köpfe mit verzweifelten Gesichtern und gegen den Himmel gestreckte Arme.
Dann versank alles in Nacht; das schreckliche Schauspiel hatte die Dauer eines Blitzes gehabt.
Dantès stürzte nach dem abschüssigen Felsenufer, auf die Gefahr hin, selbst ins Meer zu fallen; er spähte und horchte, aber er vernahm nichts mehr, kein Schrei, kein Zeichen des Lebens drang zu ihm; das Unwetter allein brüllte weiter mit den Winden und schäumte weiter mit den Fluten.
Allmählich legte sich der Wind; große graue Wolken trieben ost-wärts dahin, am Himmel erschienen die Sterne funkelnder als je; bald zeigte sich im Osten ein langes, rötliches Band am Horizont; die Fluten sprangen, ein plötzlicher Glanz fuhr über ihre schäumen-den Kämme und verwandelte sie in goldene Mähnen.
Es war Tag.
Dantès blieb unbeweglich und stumm vor diesem großartigen Schauspiel, als ob er es zum erstenmal sähe; in der Tat, seit er im Schloß If gewesen war, hatte er es vergessen gehabt. Er wandte sich nach der Festung, und sein Blick schweifte weit über Erde und Meer.
Mit imposanter Majestät stieg das fi nstere Bauwerk aus den Fluten auf.
Es konnte fünf Uhr morgens sein; das Meer beruhigte sich immer mehr.
In zwei oder drei Stunden, sagte sich Dantès, wird der Schließer in meine Zelle treten, den Leichnam meines armen Freundes fi nden, ihn erkennen, mich vergeblich suchen und Lärm schlagen. Dann wird man das Loch und den Gang fi nden, wird die Männer fragen, die mich ins Meer geworfen haben und meinen Schrei gehört haben müssen. Sofort werden Boote mit Soldaten die Verfolgung des un-glücklichen
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