Der Graf von Monte Christo 1
unregelmäßigen und verzweifelten Bewegungen eines Ertrinkenden, stieß zum drittenmal einen Schrei aus und fühlte sich in das Meer sinken, als ob er wieder die tödliche Kugel an den Füßen hätte.
Eine kräftige Anstrengung brachte ihn nochmals an die Oberfl ä-
che; es war ihm, als ob man ihn an den Haaren erfaßte, dann sah und hörte er nichts mehr, er hatte die Besinnung verloren.
Als Dantès die Augen wieder öff nete, befand er sich auf dem Deck der Tartane, die ihren Weg fortsetzte; sein erster Blick galt der Richtung, in der sie fuhr; das Schiff entfernte sich vom Schloß If.
Dantès war so erschöpft, daß man den Freudenlaut, den er hören ließ, für einen Schmerzensseufzer hätte halten können.
Ein Matrose rieb ihm die Glieder mit einer wollenen Decke, ein anderer, in dem er denjenigen erkannte, der ihm »Mut!« zugerufen hatte, führte ihm die Mündung einer Kürbisfl asche in den Mund; ein dritter, ein alter Seemann, der zugleich Steuermann und Patron war, betrachtete ihn mit dem Gefühl egoistischer Teilnahme, die die Menschen gewöhnlich für ein Unglück empfi nden, dem sie gestern entronnen sind und das sie heute treff en kann.
Einige Tropfen Rum belebten ihn wieder, und die fortgesetzten Reibungen des neben ihm knienden Matrosen gaben seinen Gliedern ihre Geschmeidigkeit zurück.
»Wer sind Sie?« fragte in schlechtem Französisch der Patron.
»Ich bin«, antwortete Dantès in schlechtem Italienisch, »ein Malteser Matrose; wir kamen von Syrakus, hatten Wein und Zucker geladen. Das Wetter von heute nacht hat uns am Kap Morgion überrascht, und wir sind an den Felsen, die Sie drunten sehen, zerschellt.«
»Woher kommen Sie?«
»Von diesen Felsen, wo ich mich glücklicherweise anklammern konnte, während unser armer Kapitän sich den Kopf einschlug.
Unsere drei anderen Kameraden sind ertrunken. Ich glaube, ich bin der einzige Überlebende. Ich bemerkte Ihr Schiff , und da ich fürchtete, auf der einsamen Insel zu lange warten zu müssen, habe ich mich auf einen Balken von unserem Schiff e gewagt, um Sie zu erreichen zu versuchen. Ich danke Ihnen«, fuhr Dantès fort, »Sie haben mir das Leben gerettet; ich war verloren, als einer von Ihren Matrosen mich beim Haar ergriff .«
»Das war ich«, sagte ein Matrose mit off enem, freimütigem, von einem langen schwarzen Backenbart umrahmten Gesicht; »es war auch Zeit, denn Sie sanken unter.«
»Ja«, antwortete Dantès, ihm die Hand reichend, »ja, mein Freund, und ich danke Ihnen nochmals.«
»Meiner Treu!« meinte der Seemann, »ich zögerte fast! Mit Ihrem langen Bart und dem langen Haar sahen Sie einem Verbrecher ähnlicher als einem ehrlichen Mann.«
Dantès fi el es in der Tat ein, daß er sich, seitdem er auf Schloß If war, weder Haar noch Bart geschnitten hatte.
»Ja«, sagte er, »ich habe der Jungfrau in einem Augenblick der Gefahr das Gelübde getan, mir zehn Jahre lang weder Haar noch Bart zu schneiden. Heute läuft die Zeit gerade ab, und ich wäre beinahe an meinem Jahrestag ertrunken.«
»Was sollen wir jetzt mit Ihnen machen?« fragte der Patron.
»Ach«, entgegnete Dantès, »was Sie wollen; die Feluke, zu deren Bemannung ich gehörte, ist untergegangen, der Kapitän ist tot; wie Sie sehen, bin ich dem gleichen Schicksal entgangen, aber vollständig entblößt. Zum Glück bin ich ein guter Seemann; setzen Sie mich in dem ersten Hafen, wo Sie anlegen, an Land, ich werde immer Beschäftigung auf einem Kauff ahrer fi nden.«
»Sie kennen das Mittelländische Meer?«
»Ich befahre es seit meiner Kindheit.«
»Kennen Sie die guten Ankergründe?«
»Es gibt wenig Häfen, in die ich nicht mit geschlossenen Augen einlaufen könnte.«
»Na, hören Sie, Patron«, meinte der Matrose, der Dantès »Mut!«
zugerufen hatte, »wenn der Kamerad die Wahrheit spricht, warum soll er nicht bei uns bleiben?«
»Ja, wenn«, antwortete der Patron; »aber in dem Zustand, in dem der arme Teufel ist, verspricht man alles mögliche.«
»Ich werde mehr halten, als ich versprochen habe«, sagte Dantès.
»Hoho!« erwiderte der Patron lachend. »Das müßte man sehen.«
»Sobald Sie wollen«, antwortete Dantès. »Wohin gehen Sie?«
»Nach Livorno.«
»Nun, warum gehen Sie dann nicht, anstatt mit dem Lavieren die kostbare Zeit zu verlieren, hart an den Wind?«
»Weil wir dann direkt auf die Insel Rion laufen würden.«
»Sie werden mehr als zwanzig Faden daran vorbeikommen.«
»Nehmen Sie doch das Steuer«, sagte der Patron,
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