Der Graf von Monte Christo 1
worden war.
Neunzehn Jahre alt, war er nach Schloß If gekommen, dreiunddreißig Jahre alt, verließ er es.
Ein schmerzliches Lächeln zog über seine Lippen; er fragte sich, was während dieser Zeit, da sie ihn für tot gehalten haben mußte, aus Mercedes geworden sein mochte.
Dann leuchtete ein Strahl des Hasses in seinen Augen auf, als er an die drei Menschen dachte, denen er diese lange und grausame Gefangenschaft verdankte.
Und er erneuerte jenen unerbittlichen Schwur der Rache an Danglars, Ferdinand und Villefort, den er im Gefängnis getan hatte.
Und dieser Schwur war keine leere Drohung mehr, denn um diese Stunde hätte der schnellste Segler des Mittelländischen Meeres die kleine Tartane sicherlich nicht einzuholen vermocht, die mit vollen Segeln nach Livorno fuhr.
D S
Dantès hatte noch keinen Tag an Bord verbracht, als er wußte, mit wem er es zu tun hatte. Ohne bei dem Abbé Faria in die Schule gegangen zu sein, kannte der würdige Patron der »Jungen Amalie« – so hieß die genuesische Tartane – ziemlich alle Sprachen, die um das Mittelländische Meer herum gesprochen werden, vom Arabischen bis zum Provenzalischen.
Dantès befand sich auf einem Schmugglerschiff .
Der Patron hatte Dantès auch zuerst mit einem gewissen Mißtrauen aufgenommen; er war allen Zollbeamten der Küste sehr gut bekannt, und da diese Herren und er sich gegenseitig an List zu überbieten suchten, so hatte er zuerst den Verdacht, daß Dantès ein Spion der Zollbehörden sein könnte; aber die glänzende Probe, die der junge Mann als Seemann abgelegt hatte, hatte ihm diesen Verdacht vollständig genommen. Auch der zweite Verdacht, der ihn allerdings weniger beunruhigte, daß nämlich Dantès vom Schloß If entfl ohen sein könne, war beim Anblick der vollständigen Ruhe des Neuangekommenen geschwunden.
Edmund hatte also den Vorteil zu wissen, was sein Patron war, ohne daß dieser in Erfahrung bringen konnte, wer er war; von welcher Seite ihn der alte Seemann oder seine Kameraden auch angrif-fen, er hielt sich gut und gestand nichts, gab eine Menge Einzelheiten über Neapel und Malta, die er wie Marseille kannte, an und blieb mit einer Festigkeit, die seinem Gedächtnis Ehre machte, bei seiner ersten Erzählung.
Das Fahrzeug kam in Livorno an; hier hatte Edmund eine neue Probe zu bestehen: zu sehen, ob er sich wiedererkenne. Er ging zu einem Barbier, ließ sich das Haar schneiden und den Bart abnehmen, verlangte dann einen Spiegel und betrachtete sich.
Er war dreiunddreißig Jahre alt, und diese vierzehn Jahre der Gefangenschaft hatten in seinem Gesicht eine große Veränderung bewirkt.
Er war nach dem Schloß If gekommen mit dem runden Gesicht des glücklichen jungen Mannes, dem die ersten Schritte ins Leben leicht gewesen sind und der auf eine frohe Zukunft rechnet. Jetzt war er gänzlich verändert.
Sein ovales Gesicht hatte sich verlängert; der Mund hatte eine feste entschlossene Linie angenommen; seine Augen trugen den Ausdruck tiefer Traurigkeit; seine Gesichtsfarbe war blaß; das tiefe Wissen, das er sich erworben hatte, hatte seinem ganzen Gesicht den Stempel intelligenter Sicherheit gegeben. Sein Körper war fest und musku-lös geworden; seine Stimme klang nach der langen Gefangenschaft bald seltsam weich, bald derb und fast heiser.
Da er sich unaufhörlich im Halbdunkel oder in der Dunkelheit befunden hatte, so hatten seine Augen die Fähigkeit erlangt, die Gegenstände während der Nacht zu unterscheiden.
Edmund lächelte, als er sich sah; es war unmöglich, daß sein bester Freund, falls ihm überhaupt einer geblieben war, ihn wiederer-kannte, denn er erkannte sich ja selbst nicht wieder.
Der Patron der »Jungen Amalie«, dem sehr daran lag, einen Mann wie Edmund zu behalten, hatte ihm einen Vorschuß auf seinen Anteil am zukünftigen Gewinn angeboten, und Edmund hatte angenommen.
Er kaufte sich einen vollständigen Matrosenanzug: weiße Hosen, gestreiftes Hemd und phrygische Mütze.
In diesem Kostüm erschien Edmund, als er Jacopo das ihm ge-liehene Hemd und die Hose zurückbrachte, vor dem Patron der
»Jungen Amalie«.
Der Patron erkannte ihn zuerst gar nicht wieder, dann aber, eingenommen von seinem guten Aussehen, erneuerte er sein Anerbieten; aber Dantès, der seine eigenen Pläne hatte, wollte nur auf ein Vierteljahr annehmen.
Übrigens hatte die »Junge Amalie« eine sehr tüchtige Besatzung unter dem Befehl eines Patrons, der nicht
Weitere Kostenlose Bücher