Der Graf von Monte Christo 1
groß, daß man den Arm hineinstecken konnte.
Dantès schlug den stärksten Olivenbaum um, den er fi nden konnte, schnitt die Zweige ab, steckte ihn in das Loch und benutzte ihn als Hebel.
Aber der Block war zu schwer und zu fest verrammt, als daß ihn menschliche Kraft, selbst die eines Herkules, zu bewegen vermocht hätte.
Dantès mußte den unteren als Keil dienenden Stein zuerst entfernen. Aber womit?
Er sah sich um, wie Leute tun, die in Verlegenheit sind. Da fi el sein Blick auf ein mit Pulver gefülltes Horn, das ihm sein Freund Jacopo zurückgelassen hatte.
Mit seiner Hacke machte er nun zwischen dem oberen und dem unteren Felsblock ein Loch, füllte es mit Pulver, drehte sein Taschentuch zusammen, machte mit Hilfe des Salpeters eine Lunte daraus und zündete sie an. Dann entfernte er sich.
Die Explosion ließ nicht auf sich warten; der obere Block wurde gehoben und der untere zersprengt. Durch die kleine von Dantès gesprengte Öff nung entschlüpfte ein ganzer Schwarm von Insekten und eine riesige Natter.
Dantès trat näher; der obere, nicht mehr gestützte Block neigte sich nach unten. Dantès suchte die geeignetste Stelle hinter ihm und setzte mit gewaltiger Anstrengung den Hebel an.
Der Felsen wankte, gab endlich nach, überschlug sich, sprang ab und stürzte ins Meer. Er hatte eine kreisförmige Stelle bloßgelegt, und Dantès sah eine viereckige Steinplatte, in deren Mitte ein eiserner Ring angebracht war.
Er stieß einen Schrei der Freude und Verwunderung aus. Er wollte weiterarbeiten, aber die Beine zitterten ihm, und das Herz klopfte ihm so heftig, daß er innehalten mußte.
Das dauerte aber nur eine Sekunde, dann steckte Edmund seinen Hebel in den Ring, hob die eingelassene Platte und sah ein Art steile Treppe, die in das Dunkel einer Grotte führte.
Ein anderer wäre außer sich vor Freude die Treppe hinabgeeilt, aber Dantès hielt inne.
Laß sehen, sagte er zu sich, bewähre dich als Mann, der an Unglück gewöhnt ist; laß dich nicht durch eine Enttäuschung niederschlagen! Das Herz bricht, wenn es sich in der Wärme der Hoff nung zu weit ausgedehnt hat und dann wieder in die Kälte der Wirklichkeit zurückkommt. Faria hat geträumt; der Kardinal Spada hat in dieser Höhle nichts vergraben, ist vielleicht nie hierhergekommen, oder wenn auch, so hat Cesare Borgia, der kühne Abenteurer und unersättliche Räuber, ihm nachgespürt, hat die Spur entdeckt, ist denselben Zeichen gefolgt wie ich, hat den Stein gehoben, ist vor mir hinabgestiegen und hat mir nichts zum Mitnehmen übriggelassen!
Er blieb einen Augenblick unbeweglich, nachdenkend stehen, den Blick auf die Öff nung gerichtet. Dann fuhr er fort: Aber jetzt, da ich auf nichts mehr rechne, da ich mir gesagt habe, daß es Wahnsinn sei, noch Hoff nung zu hegen, ist die Fortsetzung dieses Abenteuers für mich eine Sache der Neugier, nichts weiter!
Er stand noch immer sinnend da.
»Hinunter!« sagte er dann. Und mit dem Lächeln des Zweifels auf den Lippen, und das letzte Wort menschlicher Weisheit: »Vielleicht!«
murmelnd, stieg er hinab.
Statt der erwarteten Finsternis sah Dantès ein bläuliches Licht; Luft und Licht drangen nicht nur durch die von ihm gemachte Öff nung, sondern auch durch Felsenrisse, die von außen unsichtbar waren.
Nach einigen Sekunden Aufenthalt in dieser Höhle, in der die Temperatur gegenüber draußen sehr angenehm war, vermochte Dantès mit seinen an die Finsternis gewöhnten Augen in die fern-sten Winkel zu blicken. Die Höhlenwände bestanden aus rötlich-gelbem Granit, der wie Diamanten fl immerte.
»Ach!« meinte Dantès lächelnd; »das werden jedenfalls die vom Kardinal hinterlassenen Schätze sein!«
Aber er erinnerte sich der Worte des Testaments: »In dem entle-gensten Winkel der zweiten Höhle.«
Die zweite Höhle, deren Öff nung er suchte, mußte nach dem Innern der Insel gehen. Dantès untersuchte die Steine und klopfte an eine der Wände, wo er die Öff nung vermutete, die jedenfalls zur Vorsicht unkenntlich gemacht worden war.
Die Hacke tönte einen Augenblick und entlockte dem Felsen einen matten Ton. Endlich schien es ihm, als ob die Granitwand mit einem dumpferen und tieferen Echo antwortete; er prüfte mit den Augen die Wand und erkannte mit dem Scharfsinn des Gefangenen, was vielleicht kein anderer erkannt hätte, daß dort eine Öff nung sein müsse.
Um sich indessen keine unnütze Arbeit zu machen, prüfte Dantès erst die anderen Wände mit der Hacke, untersuchte den
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