Der Graf von Monte Christo 1
deinen Gewinnanteil verzichten, um bei mir zu bleiben?« fragte Edmund.
»Jawohl, ohne daß es mir leid tut.«
»Du bist ein braver Kerl, Jacopo«, entgegnete Edmund; »Gott wird dir deinen guten Willen lohnen; aber ich brauche niemand, ein oder zwei Tage Ruhe werden mich wiederherstellen, und ich hoff e, hier zwischen den Felsen Kräuter gegen Quetschungen zu fi nden.«
Ein eigenes Lächeln glitt dabei über Dantès’ Lippen; er drückte Jacopo warm die Hand, blieb aber bei seinem Entschluß, allein zu bleiben.
Die Schleichhändler ließen bei Edmund, was er verlangte, zurück und entfernten sich, indem sie sich häufi g umdrehten und ihm herzlich Lebewohl zuwinkten, worauf er nur mit einer Handbewegung antwortete, als ob er den übrigen Körper nicht bewegen könnte.
Sonderbar, sagte sich Edmund, als sie verschwunden waren, daß man gerade unter solchen Menschen Beweise von Freundschaft und Liebe fi ndet!
Dann kroch er vorsichtig bis zur Spitze des Felsens und sah von da, wie die Tartane sich zur Fahrt fertigmachte, den Anker lichtete, sich anmutig wie eine Möwe vor dem Flug schaukelte und abfuhr. Nach einer Stunde war sie vollständig verschwunden; wenigstens konnte er sie von dem Ort, wo er sich befand, nicht mehr sehen.
Da erhob sich Dantès leicht und gewandt, nahm seine Flinte in die eine, die Hacke in die andere Hand und eilte nach dem Felsen, wo die Einschnitte endeten.
»Und jetzt«, rief er, indem er an die Geschichte von dem arabischen Fischer dachte, die ihm Faria erzählt hatte, »Sesam, öff ne dich!«
G
Es war im Monat Mai, die Sonne war ungefähr auf dem Drittel ihrer Höhe angelangt und warf ihre warmen und belebenden Strahlen auf die Felsen; Tausende von Grillen ließen ihr eintöniges Geräusch vernehmen, die Blätter der Myrten- und Olivenbäume bewegten sich zitternd, und bei jedem Schritt, den Edmund auf dem erwärmten Granit tat, scheuchte er schillernde Eidechsen auf; an den entfernten Abhängen sprangen wilde Ziegen; die ganze Insel war belebt, und doch fühlte sich Edmund allein in Gottes Hand.
Er empfand etwas wie Furcht, und das Gefühl war so stark, daß er in dem Augenblick, da er sich ans Werk machen wollte, innehielt, die Hacke niederstellte, sein Gewehr nahm und noch einmal den höchsten Felsen der Insel bestieg und einen Blick auf seine Umgebung warf.
Die Brigantine, die mit Tagesanbruch aufgebrochen war, war im Begriff zu verschwinden; die Tartane fuhr in der entgegengesetzten Richtung und schickte sich an, Korsika zu umsegeln.
Dieser Anblick beruhigte Edmund.
Dann richtete er seinen Blick auf die nächste Umgebung. Kein Mensch war um ihn her sichtbar, keine Barke, nichts als das azurne Meer, das silbern gegen den Strand schäumte.
Schnell, aber vorsichtig stieg er vom Gipfel herunter; er fürchtete, daß ihm solch ein Unfall, wie er ihn so geschickt geheuchelt hatte, im Ernst zustoßen könnte.
Dantès war, wie gesagt, den Weg, den die Einschnitte in den Felsen andeuteten, zurückgegangen und war nach einer Art kleinen versteckten Hafens gelangt. Dieser kleine Hafen war am Eingang ziemlich breit und in der Mitte ziemlich tief, so daß ein kleines Fahrzeug in ihn einfahren und sich darin verstecken konnte. Dantès schloß nun, daß der Kardinal Spada, um unbemerkt zu bleiben, in diesen Hafen eingelaufen sei, dort sein Schiff verborgen, den von den Einschnitten angezeigten Weg verfolgt und am Ende desselben seinen Schatz vergraben habe.
Diese Vermutung führte Dantès zu dem runden Felsen zurück.
Aber wie hatte man ohne gewaltige Kraftaufwendung diesen Felsblock in die Höhe schaff en können?
Plötzlich kam Dantès der Gedanke, daß man den Stein, statt hoch-zuheben, herabgelassen haben könnte. Er stieg deshalb auf den Stein, suchte oben nach dessen früherer Lage und sah in der Tat bald, daß eine kleine Rutschbahn gemacht worden war, auf der der Block bis zu der Stelle, wo er sich befand, heruntergeglitten sein mußte; ein anderer Block hatte ihm als Keil gedient, die Steine waren sorgfältig wieder hingelegt und Erde war über die Stelle gestreut worden, um jede Spur der Arbeit verschwinden zu lassen; die Stelle war bald von Moos und Pfl anzen bedeckt worden, und der Felsen schien fest mit dem Boden verwachsen zu sein.
Dantès hob vorsichtig die Erde und glaubte diese sinnreiche Arbeit zu erkennen.
Dann begann er mit seiner Hacke diese natürliche Trennwand anzugreifen.
Nach zehn Minuten gab die Mauer nach, und ein Loch war ge-
öff net, so
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