Der Graf von Monte Christo 1
zu führen schienen. Edmund glaubte, daß er statt am Ende vielleicht am Anfang sein könnte; er ging deshalb den Weg zurück.
Unterdessen bereiteten seine Kameraden das Frühstück. Gerade in dem Augenblick, als sie das Lamm von dem Spieße nahmen, bemerkten sie Edmund, der leicht und kühn wie eine Gemse von Felsen zu Felsen sprang. Sie schossen ein Gewehr ab, um ihm ein Zeichen zu geben. Der Jäger änderte sofort die Richtung und kam im Lauf auf sie zu. Alle bewunderten seine Gewandtheit und Wag-halsigkeit; plötzlich sah man ihn auf dem Gipfel eines Felsens strau-cheln, hörte ihn einen Schrei ausstoßen, und dann war er in der Tiefe verschwunden.
Alle eilten nach der Stelle, denn sie mochten ihn sehr gern; aber Jacopo war der erste, der bei ihm ankam.
Er fand Edmund blutig und fast ohne Besinnung; er mußte von einer Höhe von zwölf oder fünfzehn Fuß abgestürzt sein. Man fl öß-
te ihm einige Tropfen Rum ein.
Edmund öff nete die Augen, klagte über heftigen Schmerz am Knie, große Schwere im Kopf und unerträgliche Stiche im Kreuz. Man wollte ihn ans Ufer bringen, aber als man ihn anrührte, erklärte er stöhnend, daß er sich nicht kräftig genug fühle, um den Transport auszuhalten.
Er bestand darauf, daß seine Kameraden zu ihrem Frühstück zu-rückkehrten, er selbst brauche nur ein wenig Ruhe, und bei ihrer Rückkehr würden sie ihn wiederhergestellt fi nden.
Die Seeleute ließen sich nicht sehr bitten, denn sie hatten Hunger, und der Duft des Bratens drang bis zu ihnen.
Eine Stunde später kamen sie wieder. Edmund hatte sich nur etwa zehn Schritt weit nach einem moosbewachsenen Stein schleppen können, an den er sich anlehnte.
Anstatt daß die Schmerzen Dantès’ sich aber gelegt hätten, schienen sie noch heftiger geworden zu sein. Der alte Patron, der am Morgen abfahren mußte, um seine Ladung an der Grenze von Piemont und Frankreich zwischen Nizza und Fréjus auszuschiff en, bestand darauf, daß Dantès aufzustehen versuchte. Dantès machte übermenschliche Anstrengungen, sank aber immer wieder klagend und bleich zurück.
»Er hat sich das Kreuz gebrochen«, sagte leise der Patron; »doch einerlei, es ist ein guter Kamerad, den wir nicht im Stich lassen dürfen. Wir wollen versuchen, ihn nach der Tartane zu tragen.«
Aber Dantès erklärte, daß er lieber auf der Stelle, wo er war, sterben wollte, als die heftigen Schmerzen ertragen, die ihm die leiseste Bewegung verursachen würden.
»Nun denn«, sagte der Patron, »komme, was wolle, aber man soll nicht sagen, daß wir einen braven Gefährten ohne Hilfe gelassen haben. Wir fahren erst heute abend.«
Dieser Vorschlag wunderte die Matrosen sehr, obgleich keiner von ihnen dagegen war. Der Patron war als sehr streng bekannt, und es geschah zum erstenmal, daß man ihn auf ein Unternehmen verzichten oder die Ausführung verschieben sah.
Dantès wollte es aber nicht zugeben, daß man seinetwegen alle Anordnungen umstieß.
»Nein«, sagte er zu dem Patron, »ich bin ungeschickt gewesen, und es ist nicht mehr als recht und billig, daß ich die Strafe für meine Ungeschicklichkeit trage. Lassen Sie mir einen kleinen Vorrat Zwieback, ein Gewehr nebst Munition, um Ziegen zu schießen oder mich verteidigen zu können, und eine Hacke zurück, damit ich mir einen Unterschlupf machen kann, wenn es zu lange dauern sollte, bis ich von Ihnen abgeholt werde.«
»Du wirst aber verhungern«, entgegnete der Patron.
»Das ist mir lieber, als die unerhörten Schmerzen zu erdulden, die mir eine einzige Bewegung verursacht«, antwortete Dantès.
Der Patron wandte sich nach der Seite, wo das Schiff sich in dem kleinen Hafen schaukelte.
»Was sollen wir denn nun machen, Malteser?« fragte er. »Wir können dich hier nicht so im Stich lassen, können aber auch nicht hierbleiben.«
»Fahren Sie, fahren Sie!« rief Dantès.
»Wir werden mindestens acht Tage fortbleiben«, sagte der Patron,
»und dann müßten wir auch noch einen Umweg machen, um dich abzuholen.«
»Hören Sie«, antwortete Dantès; »wenn Sie in den nächsten zwei oder drei Tagen ein Fischerfahrzeug oder dergleichen treff en, das in diese Gegend kommt, so schicken Sie es zu mir; ich gebe fünfundzwanzig Piaster für meine Rückkehr nach Livorno. Treff en Sie keins, so kommen Sie zurück.«
Der Patron schüttelte den Kopf.
»Hören Sie, Patron Baldi«, meinte Jacopo; »ich weiß ein Mittel; fahren Sie ab, und ich bleibe bei dem Verwundeten, um ihn zu pfl egen.«
»Du wolltest auf
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