Der Graf von Monte Christo 2
Weste und dieser Brief waren, was man Überführungsbeweise nennt, und ich habe sie an den Staatsanwalt geschickt. Sie begreifen, lieber Baron, der gesetzliche Weg ist in Kriminalsachen der sicherste; es war vielleicht irgendein Anschlag gegen Sie.«
Andrea sah Monte Christo forschend an und verschwand im zweiten Salon.
»Wohl möglich«, entgegnete Danglars. »War dieser Ermordete nicht ein früherer Galeerensträfl ing?«
»Ja«, antwortete der Graf, »ein früherer Galeerensträfl ing namens Caderousse.«
Danglars erblaßte leicht; Andrea verließ den zweiten Salon und gewann das Vorzimmer.
»Aber unterzeichnen Sie doch«, sagte Monte Christo. »Ich bemerke, daß meine Erzählung alle Welt in Erregung versetzt hat, und bitte Sie, Frau Baronin, und das gnädige Fräulein untertänigst um Verzeihung.«
Die Baronin, die soeben unterzeichnet hatte, gab dem Notar die Feder zurück.
»Herr Prinz von Cavalcanti«, sagte der Notar, »wo sind Sie?«
»Andrea! Andrea!« wiederholten mehrere junge Leute, die mit dem edlen Italiener schon so vertraut waren, daß sie ihn bei seinem Vornamen nannten.
»Rufen Sie doch den Prinzen, sagen Sie ihm, daß die Reihe zu unterzeichnen an ihm ist!« rief Danglars einem Lakaien zu. Aber in demselben Augenblick strömte die Menge der Gäste erschrok-ken in den großen Salon, als ob irgendein Ungeheuer ins Zimmer getreten wäre.
Es gab in der Tat Grund zu erschrecken. Ein Gendarmerieoffi zier stellte zwei Gendarmen an die Tür jedes Salons und trat hinter einem mit der Schärpe bekleideten Polizeikommissar auf Danglars zu.
Frau Danglars stieß einen Schrei aus und wurde ohnmächtig.
Danglars, der sich in Gefahr glaubte, bot den Augen seiner Gäste ein von Furcht entstelltes Gesicht.
»Was gibt es denn, mein Herr?« fragte Monte Christo, dem Kommissar entgegengehend.
»Welcher von Ihnen, meine Herren«, fragte der Beamte, ohne dem Grafen zu antworten, »nennt sich Andrea Cavalcanti?«
Ein Schrei der Bestürzung ertönte. Man suchte, man fragte.
»Aber wer ist denn dieser Andrea Cavalcanti?« fragte Danglars fassungslos.
»Ein früherer Galeerensträfl ing, der aus dem Bagno von Toulon entwichen ist.«
»Und welches Verbrechen hat er begangen?«
»Er wird angeklagt, einen gewissen Caderousse, seinen früheren Kettengenossen, in dem Augenblick ermordet zu haben, als derselbe das Haus des Grafen von Monte Christo verließ«, antwortete der Kommissar mit seiner gelassenen Stimme.
Monte Christo warf einen schnellen Blick um sich. Andrea war verschwunden.
An demselben Abend verließ Eugenie mit ihrer Gesellschafterin heimlich das Haus ihres Vaters.
D G
Am folgenden Morgen um neun Uhr stand Frau Danglars auf und kleidete sich ohne die Hilfe ihrer Kammerjungfer an. Darauf verließ sie das Haus, ging bis zur nächsten Straße, nahm dort eine Droschke und ließ sich zum Haus des Herrn von Villefort fahren.
Seit einem Monat bot dieses Haus den Anblick eines Lazaretts; ein Teil der Zimmer war von innen und außen verschlossen; die Läden öff neten sich nur einen Augenblick, um frische Luft einzulassen. Frau Danglars wurde beim Anblick dieses düstern Hauses von einem Schauer ergriff en; sie stieg aus dem Wagen, näherte sich mit zitternden Beinen der geschlossenen Tür und klingelte. Beim dritten Klingeln erschien der Hausmeister und öff nete die Tür ein wenig. Er sah eine elegante Dame, und doch wurde die Tür nicht geöff net.
»Aber so öff nen Sie doch!« sagte die Baronin.
»Zuerst, Madame, wer sind Sie?« fragte der Hausmeister.
»Wer ich bin? Sie kennen mich doch?«
»Wir kennen niemand mehr, Madame.«
»Sie sind verrückt!« rief die Baronin.
»Von wem kommen Sie?«
»Oh, das ist zu stark!«
»Madame, ich habe den Befehl, entschuldigen Sie mich. Ihr Name?«
»Frau Baronin Danglars. Sie haben mich schon zwanzigmal gesehen.«
»Das ist möglich, Madame. Jetzt, was wollen Sie?«
»Ich werde mich bei Herrn Villefort über die Frechheit seiner Leute beklagen.«
»Madame, es ist nur Vorsicht; niemand tritt hier ein, mit Ausnahme der Leute, die von Herrn d’Avrigny geschickt sind oder die den Herrn Staatsanwalt sprechen wollen.«
»Ich muß den Staatsanwalt sprechen.«
»Dringend?«
»Das sehen Sie wohl, da ich noch nicht wieder zu meinem Wagen zurückgekehrt bin. Aber machen wir ein Ende, hier ist meine Karte, bringen Sie sie Ihrem Herrn.«
»Wollen Sie warten, bis ich zurückkomme?«
»Ja, gehen Sie.«
Der Hausmeister schloß die Tür
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