Der Graf von Monte Christo 2
und ließ Frau Danglars drau-
ßen stehen. Sie brauchte allerdings nicht lange zu warten; einen Augenblick später öff nete sich die Tür genügend weit, daß sie eintreten konnte. Hinter ihr wurde die Tür wieder geschlossen.
Als sie im Hof waren, zog der Hausmeister, der die Tür nicht aus den Augen ließ, eine Pfeife aus der Tasche und pfi ff . Der Kammerdiener des Herrn von Villefort erschien auf der Freitreppe.
»Gnädige Frau werden diesen guten Mann entschuldigen«, sagte er zu der Baronin, »aber er hat strenge Weisungen, und Herr von Villefort hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß er nicht anders handeln durfte.«
Im Hof stand ein Händler, der mit denselben Vorsichtsmaßregeln eingelassen worden war. Seine Waren wurden untersucht.
Die Baronin ging die Freitreppe hinauf, sie fühlte die Traurigkeit im ganzen Haus tief auf sich wirken; immer von dem Kammerdiener begleitet, betrat sie das Arbeitszimmer des Staatsanwalts.
Sosehr auch Frau Danglars mit der Angelegenheit beschäftigt war, die sie zu dem Staatsanwalt führte, so schien ihr doch dieser Empfang durch die Dienerschaft so unwürdig, daß sie sich beklagte. Aber Villefort hob den Kopf und sah sie mit einem so traurigen Lächeln an, daß die Klagen auf ihren Lippen erstarben.
»Entschuldigen Sie meine Diener wegen einer Angst, die ich ihnen nicht übelnehmen kann; selbst beargwöhnt, sind sie argwöh-nisch geworden.«
Frau Danglars hatte oft von dieser Angst im Hause Villefort sprechen hören; aber sie hätte nie geglaubt, daß dieses Gefühl so weit getrieben werden würde, wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.
»Auch Sie sind also unglücklich?« fragte sie.
»Ja, gnädige Frau«, antwortete der Staatsanwalt.
»Dann beklagen Sie mich also?«
»Aufrichtig, gnädige Frau.«
»Und Sie verstehen, was mich herführt?«
»Sie kommen, um mit mir von dem zu sprechen, was Ihnen zugestoßen ist, nicht wahr?«
»Ja, ein schreckliches Unglück!«
»Das heißt eine Unannehmlichkeit.«
»Eine Unannehmlichkeit!« rief die Baronin.
»Gnädige Frau«, antwortete der Staatsanwalt mit seiner unerschütterlichen Ruhe, »ich bin soweit, nur das, was nicht wiedergutzuma-chen ist, Unglück zu nennen.«
»Glauben Sie, daß man je vergessen wird …?«
»Alles vergißt sich«, sagte Villefort; »die Heirat Ihrer Tochter wird morgen stattfi nden, wenn nicht heute, und wenn nicht morgen, so in acht Tagen. Und was den Zukünftigen des Fräuleins Eugenie betriff t, so glaube ich nicht, daß Sie ihn bedauern!«
Frau Danglars sah Villefort bestürzt über diese fast spöttische Ruhe an. »Bin ich bei einem Freund?« fragte sie in einem Ton voll schmerzlicher Würde.
»Sie wissen das ja, gnädige Frau«, antwortete Villefort, über dessen Gesicht bei diesen Worten eine leichte Röte fl og.
»Nun denn«, sagte die Baronin, »so zeigen Sie mir ein wenig Teilnahme; sprechen Sie mit mir nur als Freund und nicht als Beamter, und wenn ich tief unglücklich bin, so sagen Sie nicht, ich solle heiter sein.«
Villefort verbeugte sich. »Wenn ich von Unglück sprechen höre«, sagte er, »denke ich seit einem Vierteljahr an das meine und stelle Vergleiche an; deshalb erscheint mir neben meinem Unglück das Ihre wie eine Unannehmlichkeit und Ihre Lage, mit meiner vergli-chen, beneidenswert. Aber das ist Ihnen unangenehm, lassen wir es.
Sie sagten, gnädige Frau?«
»Ich komme, um von Ihnen zu hören, wie es mit dem Fall dieses Betrügers steht.«
»Betrüger!« wiederholte Villefort. »Gnädige Frau, Sie haben sich entschieden vorgenommen, gewisse Dinge milder aufzufassen und andre zu übertreiben. Herr Andrea Cavalcanti, oder vielmehr Herr Benedetto, ein Betrüger! Sie irren sich, Herr Benedetto ist einfach ein Mörder!«
»Ich bestreite nicht, daß Sie recht haben, aber je strenger Sie gegen diesen Unglücklichen vorgehen, desto schlimmer treff en Sie unsre Familie. Vergessen Sie ihn für einen Augenblick; statt ihn zu verfolgen, lassen Sie ihn fl iehen.«
»Sie kommen zu spät, die Befehle sind schon gegeben.«
»Nun, wenn man ihn ergreift … Glauben Sie, daß man ihn ergreifen wird?«
»Ich hoff e es.«
»Wenn man ihn ergreift – nun, so lassen Sie ihn im Gefängnis; es sollen ja so viele Untersuchungsgefangene da sein, daß die Gerichte bereits überlastet sind.«
Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf.
»Wenigstens solange, bis meine Tochter verheiratet ist«, fügte die Baronin hinzu.
»Unmöglich, gnädige Frau; die Gerechtigkeit
Weitere Kostenlose Bücher