Der Graf von Monte Christo
Marseille, sein Konto beläuft sich bei uns auf etwa l00 000 Franken, und wir sind einigermaßen in Unruhe, da man behauptet, dieses Haus sei dem Ruin nahe. Ich komme daher ausdrücklich von Rom, um mir von Ihnen Auskunft über Morel und Sohn zu erbitten.
Mein Herr, antwortete der Maire, ich weiß bestimmt, daß seit vier bis fünf Jahren das Unglück Herrn Morel zu verfolgen scheint; er hat hintereinander vier Schiffe verloren und durch drei Bankerotte Verluste erlitten; aber obgleich ich selbst mit einigen tausend Franken Gläubiger des Hauses bin, geziemt es mir doch nicht, irgend eine Auskunft über den Zustand seines Vermögens zu geben. Fragen Sie mich als Maire, was ich von Herrn Morel denke, so antworte ich Ihnen, er ist ein streng rechtlicher Mann und hat bis jetzt alle seine Verbindlichkeiten äußerst pünktlich erfüllt. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Wollen Sie mehr wissen, so wenden Sie sich an Herrn von Boville, Inspektor der Gefängnisse, Rue Noailles Nr. 15; er hat, soviel ich weiß, 200 000 Franken beim Hause Morel angelegt, und wenn wirklich etwas zu fürchten wäre, so würden Sie ihn, da diese Summe beträchtlicher ist, als mein Guthaben, wahrscheinlich über diesen Punkt besser unterrichtet finden, als ich es bin.
Der Engländer schien diese Rücksicht zu würdigen, grüßte, verließ den Maire und wanderte mit dem den Söhnen Großbritanniens eigentümlichen Gange nach der bezeichneten Straße. Herr von Boville war in seinem Kabinett; als ihn der Engländer erblickte, machte er eine Bewegung des Erstaunens, die anzudeuten schien, daß er nicht zum erstenmal diesem Manne gegenüber stand. Herr von Boville aber war so verzweiflungsvoll, gleichsam verschlungen von dem Gedanken, der ihn in diesem Augenblick beschäftigte, daß er nichts für alte Erinnerungen übrig hatte. Der Engländer legte ihm mit dem seiner Nation eigenen Phlegma fast in denselben Ausdrücken dieselbe Frage vor wie dem Maire.
Oh! Herr, rief Herr von Boville, Ihre Befürchtungen sind leider nur zu sehr begründet, und Sie sehen einen verzweifelnden Mann vor sich. Ich hatte 200 000 Franken bei dem Hause Morel angelegt. – Es war dies die Mitgift meiner Tochter, die ich in vierzehn Tagen zu verheiraten gedachte. Ich hatte Herrn Morel von meinem Wunsche, das Geld bis zum 15. nächsten Monats zu erheben, benachrichtigt, und nun ist er vor einer halben Stunde zu mir gekommen, um mir zu sagen, wenn sein Schiff Pharao bis zum 15. nicht einlaufe, sei er außer stande, seine Verbindlichkeit zu erfüllen.
Da handelt sich's doch wohl nur um Fristverlängerung, sagte der Engländer.
Es handelt sich um einen Bankerott, rief Herr von Boville.
Der Engländer schien einen Augenblick nachzudenken und sagte sodann: Diese Schuldforderung scheint Ihnen also gefährdet?
Das heißt, ich betrachte sie als verloren.
Gut, ich kaufe sie Ihnen ab.
Sie? Ja, ich.
Aber sicher nur mit ungeheurem Rabatt?
Nein, um 200 000 Franken; unser Haus, fügte der Engländer lachend bei, macht keine solchen Geschäfte.
Und Sie bezahlen bar?
Der Engländer zog, ohne ein Wort zu sagen, ein Päckchen Banknoten aus seiner Tasche, die das Doppelte der Summe betragen mochten, die Herr von Boville zu verlieren fürchtete. Ein Blitz der Freude zog über das Gesicht des Herrn von Boville; doch suchte er sich zu bemeistern und sagte: Mein Herr, ich muß Ihnen bemerken, daß Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sechs Prozent von dieser Summe zurückerhalten.
Das geht mich nichts an, erwiderte der Engländer, das geht das Haus Thomson und French an, in dessen Namen ich handle. Es liegt vielleicht in seinem Interesse, einen Nebenbuhler zu Grunde zu richten. Ich weiß nur, daß ich Ihnen diese Summe gegen Übertragung zu bezahlen habe, wobei ich mir indessen einen Maklerlohn erbitten werde.
Das ist nicht mehr als billig! rief Herr von Boville. Die Kommission beträgt gewöhnlich anderthalb; wollen Sie zwei? Wollen Sie drei? Wollen Sie fünf, wollen Sie noch mehr? Sprechen Sie!
Mein Herr, antwortete der Engländer lachend, ich bin wie mein Haus, ich mache keine solchen Geschäfte; mein Maklerlohn ist ganz anderer Natur. Sie sind Inspektor der Gefängnisse?
Seit vierzehn Jahren.
Führen Sie Eintritts- und Abgangsverzeichnisse, die Noten in Bezug auf die Gefangenen enthalten.
Jeder Gefangene hat sein Aktenheft.
Nun wohl, ich bin in Rom von einem armen Teufel von Abbé erzogen worden, der plötzlich von dort verschwunden ist. Seitdem habe ich
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