Der Graf von Monte Christo
erfahren, daß man ihn im Kastell If gefangen gehalten hat, und ich möchte gern etwas Näheres über seinen Tod wissen; er hieß Abbé Faria.
Oh! ich erinnere mich seiner ganz genau, rief Herr von Boville, er war ein Narr.
Es ist möglich. Welcher Art war seine Narrheit?
Er behauptete, Kenntnis von einem unermeßlichen Schatze zu haben, und bot der Regierung tolle Summen, wenn man ihn in Freiheit setzen wollte.
Armer Teufel! Und er ist tot?
Ja, er starb ungefähr vor fünf oder sechs Monaten, im vergangenen Februar. Ich erinnere mich dieser Geschichte deshalb so genau, weil der Tod des armen Teufels von einem seltsamen Ereignis begleitet war.
Was war denn das für ein Ereignis? fragte der Engländer mit dem Ausdruck großer Neugierde.
Das Gefängnis des Abbés war ungefähr fünfzig Fuß vom dem eines ehemaligen bonapartistischen Agenten entfernt, eines sehr entschlossenen und gefährlichen Menschen aus der Zahl derer, die am meisten zur Rückkehr des Usurpators im Jahre 1815 beigetragen haben.
Wirklich? sagte der Engländer.
Ja, ich hatte selbst Gelegenheit, diesen Menschen im Jahre 1816 oder 1817 zu sehen; man stieg in seinen Kerker stets nur mit einer Wache hinab; er machte einen tiefen Eindruck auf mich, und ich werde sein Gesicht nie vergessen.
Der Engländer lächelte unmerklich. Und Sie sagen, versetzte er, die beiden Kerker ...
Waren etwa fünfzig Fuß voneinander, aber es scheint, dieser Edmond Dantes ..., so hieß nämlich der gefährliche Mensch, hatte sich Werkzeuge verschafft oder verfertigt, denn man fand einen Gang, durch den die Gefangenen miteinander verkehrten.
Dieser Gang war ohne Zweifel für einen Fluchtversuch gemacht worden?
Allerdings; aber zum Unglück für die Gefangenen wurde der Abbé von der Starrsucht befallen und starb.
Ich begreife; das mußte die Fluchtpläne ein für allemal vereiteln.
Für den Toten, ja, antwortete Herr von Boville, für den Lebenden nicht; dieser Dantes sah im Gegenteil darin ein Mittel, seine Flucht zu beschleunigen. Er dachte ohne Zweifel, die im Kastell If gestorbenen Gefangenen würden auf einem gewöhnlichen Friedhofe begraben, trug den Hingeschiedenen in seine Zelle, nahm dessen Platz in dem Sacke ein, in den man ihn genäht hatte, und erwartete den Augenblick des Begräbnisses.
Das war ein gewagtes Mittel, woraus sich auf einigen Mut schließen läßt, bemerkte der Engländer.
Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es ein sehr gefährlicher Mensch war; zum Glück befreite er die Regierung selbst von der Furcht, die sie seinetwegen hegte.
Wieso?
Das Kastell If hat keinen Friedhof; man wirft die Toten ganz einfach ins Meer, nachdem man ihnen eine Eisenkugel von 36 Pfund an die Füße gebunden hat. Sie können sich denken, wie groß das Erstaunen des Flüchtlings gewesen sein muß, als er fühlte, daß man ihn vom Felsen herabstürzte. Ich hätte sein Gesicht in diesem Augenblick sehen mögen.
Das wäre schwierig gewesen.
Gleichviel, sagte Herr von Boville, den die Gewißheit, seine 200 000 Franken wieder zu erhalten, in gute Laune versetzte; gleichviel, ich stelle es mir vor.
Der Flüchtling ist also ertrunken? fragte der Engländer, und somit wurde der Gouverneur des Kastells zugleich von dem Wütenden und von dem Narren befreit?
Gewiß.
Es mußte doch eine Art von Protokoll über dieses Ereignis aufgenommen werden? fragte der Engländer.
Ja, ja, ein Sterbeprotokoll. Sie begreifen, für die Verwandten des Dantes, wenn er welche hat, konnte es von Interesse sein, sich zu versichern, ob er gestorben sei oder noch lebe. Folglich können sie nun ruhig sein, wenn sie von ihm erben. Er ist wohl tot, sehr tot.
Oh! mein Gott, ja. Man wird Ihnen einen Schein ausstellen, wenn sie einen haben wollen.
Selbstverständlich, sagte der Engländer. Doch um auf die Listen zurückzukommen ...
Richtig ... Diese Geschichte hat uns abgeführt. Verzeihen Sie.
Was soll ich verzeihen? Die Geschichte? Keineswegs; sie war mir sehr interessant.
Sie ist es in der Tat ... Sie wünschen also alles zu sehen, was sich auf den armen Abbé bezieht, der die Sanftmut selbst war, so? Kommen Sie in mein Amtszimmer, ich will es Ihnen zeigen.
Beide gingen in das Zimmer des Herrn von Boville.
Alles war hier in vollkommener Ordnung; jedes Register bei seiner Nummer, jedes Aktenheft in seinem Fach. Der Inspektor nötigte den Engländer in seinen Lehnstuhl, legte ihm das Register und die Akten vor und ließ ihm volle Muße, darin zu blättern, während er selbst, in einem
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