Der Graf von Monte Christo
seinem Sarge gestiegen ist, denn er sieht furchtbar blaß aus.
So sieht er immer aus, sagte Franz.
Sie kennen ihn also? sagte die Gräfin; dann ist es an mir, Sie zu fragen, wer er ist.
Ich habe ihn, glaube ich, bereits gesehen und erkenne ihn wieder.
In der Tat, sagte die Gräfin, während sie mit den Schultern eine Bewegung machte, als durchliefe ein Schauer ihre Adern, ich begreife, daß man einen solchen Menschen nie vergißt, wenn man ihn einmal gesehen hat.
Die Wirkung, die Franz an sich empfunden, war also keine besondere, da sie sich auch bei einer andern Person fühlbar machte.
Nun! fragte Franz die Gräfin, als sie zum zweiten Male zu dem Fremden hinübersah, was denken Sie von diesem Manne?
Hören Sie, erwiderte die Gräfin, der verstorbene Lord Byron hat mir geschworen, er glaube an Vampire, er sagte mir sogar, er habe welche gesehen. Er schilderte mir ihr Gesicht, und wahrhaftig, gerade so, wie ich's dort drüben sehe: die schwarzen Haare, die großen, von seltsamem Feuer glänzenden Augen, die Totenblässe; bemerken Sie ferner, daß er mit keiner gewöhnlichen Frau zusammen ist, es ist eine Fremde, eine Griechin, ... eine Abtrünnige ... eine Magierin ohne Zweifel, wie er ...
Die Gräfin war in der Tat sehr erregt, und Franz selbst konnte sich einem gewissen abergläubischen Schrecken nicht entziehen, der um so natürlicher erschien, als das, was bei der Gräfin die Folge eines instinktartigen Eindrucks war, bei ihm durch bestimmte Erinnerungen hervorgebracht wurde. Er fühlte, daß sie zitterte, als sie in den Wagen stieg. Er begleitete sie nach Hause; es war niemand da, und sie wurde nicht erwartet; Franz machte ihr darüber einen Vorwurf.
In der Tat, sagte sie zu ihm, ich fühle mich nicht wohl und bedarf der Einsamkeit; der Anblick dieses Menschen hat mich völlig verstört.
Franz versuchte zu lachen.
Lachen Sie nicht, sagte die Gräfin; Sie haben auch gar keine Lust dazu. Aus Gründen, die ich Ihnen nicht sagen kann, wünschte ich zu erfahren, wer dieser Mann ist, woher er kommt und wohin er geht. Aber nun guten Abend! Schlafen Sie wohl, ich weiß, wer nicht schlafen wird.
Als Franz in den Gasthof kam, fand er Albert im Schlafrock eine Zigarre rauchend und wütend darüber, daß ihm der Hotelbesitzer wiederholt erklärt hatte, daß zu dem Karneval weder ein Wagen noch ein Fenster zum Zuschauen mehr zu bekommen sei.
Auch Franz bedauerte lebhaft das Mißgeschick, als der Wirt nochmals eintrat und sagte: Der Graf von Monte Christo, der auf dem gleichen Stocke mit Ihnen wohnt, hat durch mich von der Verlegenheit, in der Sie sich befinden, gehört und bietet Ihnen zwei Plätze in seinem Wagen und zwei an seinen Fenstern im Palaste Rospoli an.
Albert und Franz schauten einander ins Gesicht.
Können wir das Anerbieten eines Fremden, eines uns völlig unbekannten Mannes annehmen? fragte Albert.
Wer ist dieser Graf von Monte Christo? fragte Franz den Wirt.
Ein vornehmer Herr aus Sizilien oder Malta, ich weiß nicht genau, aber edel wie ein Borghese und reich wie eine Goldmine.
In diesem Augenblick klopfte man an die Tür.
Auf Franzens Herein erschien ein Diener in sehr zierlicher Livree auf der Schwelle und sprach: Von dem Grafen von Monte Christo für Herrn Franz d'Epinay und den Herrn Vicomte Albert von Morcerf.
Und er reichte dem Wirte zwei Karten, die dieser den jungen Leuten zustellte.
Der Herr Graf von Monte Christo, fuhr der Diener fort, läßt die Herren um Erlaubnis bitten, sich ihnen als Nachbar morgen früh vorstellen zu dürfen; er wird die Ehre haben, sich bei den Herren erkundigen zu lassen, um welche Stunde sie zu sprechen sind.
Sagen Sie dem Grafen, antwortete Franz, wir werden die Ehre haben, ihm unsern Besuch zu machen.
Der Bediente entfernte sich.
Das nenne ich mit Artigkeit erstürmen, rief Albert; Sie haben offenbar recht, Herr Wirt, Ihr Graf von Monte Christo ist ein Mann von der besten Lebensart.
Das Anerbieten von zwei Plätzen an einem Fenster des Palastes Rospoli erinnerte Franz an das Gespräch, das er in den Ruinen des Kolosseums zwischen seinem Unbekannten und dem Trasteveriner gehört, wobei der Mann mit dem Mantel die Verbindlichkeit übernommen hatte, Begnadigung für einen Verurteilten zu erlangen. War aber der Mann im Mantel, wie Franz allem Anschein nach glauben mußte, derselbe, dessen Erscheinen im Theater Argentina ihn so sehr in Anspruch genommen hatte, so erkannte er ihn ohne Zweifel wieder, und nichts sollte ihn dann abhalten, seine Neugierde
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