Der Graf von Monte Christo
interessante Art von Hinrichtung ist, wenn man die Sache zum erstenmal sieht, und selbst noch zum zweitenmal, während die andre, Ihnen jedenfalls auch bekannte Art, zu einfach, zu einförmig erscheint, um das Zuschauen zu lohnen. Oh! fügte der Graf verächtlich hinzu, reden Sie mir nicht von den Europäern, was Hinrichtungen betrifft, sie verstehen nichts davon und stecken wahrhaftig in dieser Beziehung noch in den Kinderjahren oder vielmehr im Greisenalter.
In der Tat, Herr Graf, erwiderte Franz, man sollte glauben, Sie hätten das Hinrichtungsverfahren bei den verschiedenen Völkern der Welt zum Gegenstand eines vergleichenden Studiums gemacht.
Es gibt wenige Arten, die ich nicht gesehen habe, antwortete kalt der Graf.
Und Sie fanden ein Vergnügen daran, so furchtbaren Schauspielen beizuwohnen?
Mein erstes Gefühl war Widerstreben, mein zweites Gleichgültigkeit, mein drittes Neugierde.
Neugierde? Das Wort ist schrecklich!
Warum? Es gibt im Leben nur eine ernste Sache, die unser ganzes Wesen erfaßt, und das ist der Tod. Ist nun nicht das Studium anziehend, auf welch verschiedene Arten die Seele aus dem Leibe gehen kann, und wie nach den Charakteren, nach den Temperamenten und selbst nach den Sitten der Länder die einzelnen Menschen diesen Übergang vom Sein zum Nichts ertragen? Ich meinesteils stehe Ihnen für eines: je mehr man sterben gesehen hat, desto leichter wird es einem zu sterben; meiner Ansicht nach ist der Tod vielleicht eine Strafe, aber keine Sühne.
Ich begreife Sie nicht ganz, sprach Franz.
Hören Sie, versetzte der Graf, und sein Gesicht unterlief sich mit Galle. Wenn ein Mensch durch unerhörte Qualen, unter endlosen Martern Ihren Vater, Ihre Mutter, Ihre Geliebte, kurz eines von den Wesen hätte sterben lassen, die, aus Ihrem Herzen gerissen, eine ewige Leere, eine stets blutende Wunde darin zurücklassen, würden Sie die Genugtuung, die Ihnen das Gesetz durch die Guillotine gewährt, für hinreichend erachten, weil der, welcher Sie jahrelang moralische Leiden erdulden ließ, ein paar Sekunden lang körperliche Schmerzen ausgestanden hat?
Ja, ich weiß, versetzte Franz, die menschliche Gerechtigkeit ist als Trösterin ungenügend; sie kann Blut für Blut vergießen, und mehr nicht; man muß nicht mehr von ihr verlangen, als sie zu tun vermag.
Und ich setze noch den Fall, wo die Gesellschaft, durch den Tod eines Menschen in der Grundlage angegriffen, worauf sie beruht, den Tod durch den Tod rächt. Gibt es aber nicht Millionen von Schmerzen, von denen die Eingeweide des Menschen zerrissen werden können, ohne daß sich die Welt nur im geringsten darum kümmert, und ohne daß sie ihm auch nur das ungenügende Mittel einer Rache bietet, von der wir soeben gesprochen haben? Gibt es nicht Verbrechen, für die der Pfahl der Türken, die Nervenzerrung der Irokesen noch zu gelinde Strafen wären, während sie die gleichgültige Gesellschaft völlig straflos läßt ... antworten Sie mir, gibt es nicht solche Verbrechen?
Ja, versetzte Franz, und um sie zu bestrafen, ist das Duell geduldet.
Ah! das Duell, rief der Graf, eine schöne Art, zu seinem Ziele zu gelangen, wenn das Ziel Rache ist. Es hat Ihnen ein Mensch Ihre Geliebte geraubt, Ihre Frau verführt, Ihre Tochter entehrt; er hat aus einem ganzen langen Leben ein Dasein des Schmerzes, des Elends oder der Schande gemacht, und Sie halten sich für gerächt, weil Sie diesem Menschen, der Ihnen Wahnsinn in den Geist, Verzweiflung ins Herz pflanzte, einen Degenstich in die Brust gegeben oder eine Kugel vor den Kopf geschaffen haben? Abgesehen davon, daß er oft siegreich aus dem Kampfe hervorgeht, in den Augen der Welt rein gewaschen und von Gott gleichsam freigesprochen wird. Nein, nein, wenn ich mich je zu rächen hätte, würde ich mich nicht auf diese Art rächen.
Sie mißbilligen also das Duell, Sie würden sich nicht auf einen Zweikampf einlassen? fragte Albert, erstaunt, eine so seltsame Theorie aussprechen zu hören.
Oh! doch wohl, erwiderte der Graf. Verstehen wir uns recht! Ich würde mich schlagen wegen einer Erbärmlichkeit, wegen einer Beleidigung, wegen einer Ohrfeige, wenn man mich einer Lüge bezichtigen wollte, und dies mit um so mehr Kaltblütigkeit, als ich infolge der Gewandtheit, die ich in allen körperlichen Übungen erlangt habe, infolge langer Gewöhnung an die Gefahr so gut wie sicher wäre, meinen Mann zu töten. Aber für einen tiefen, endlosen, ewigen Schmerz würde ich, wenn es möglich wäre, einen
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