Der Graf von Monte Christo
Grab verwandelt. Da der abnehmende Mond erst um elf Uhr abends aufging, so waren die Straßen, durch die der junge Mann fuhr, noch in die tiefste Finsternis versenkt. Nach Verlauf von zehn Minuten hielt sein Wagen oder vielmehr der des Grafen vor dem Gasthofe zur Stadt London.
Das Diner harrte der Freunde; da jedoch Albert erwähnt hatte, er gedenke nicht so bald zurückzukehren, so setzte sich Franz ohne ihn zu Tische. Gewohnt, sie miteinander speisen zu sehen, erkundigte sich Herr Pastrini nach der Ursache seiner Abwesenheit, aber Franz begnügte sich, ihm zu erwidern, Albert habe am Tage zuvor eine Einladung erhalten, der er Folge leiste. Das plötzliche Auslöschen der Moccoletti, die Dunkelheit, die auf den maßlosen Lärm folgende Stille hatten Franz in eine traurige Stimmung versetzt, die nicht ganz frei von Unruhe war. Er speiste also sehr schweigsam, trotz der Dienstfertigkeit seines Wirtes, der wiederholt erschien, um zu fragen, ob er nichts bedürfe.
Franz war entschlossen, solange als möglich auf Albert zu warten. Er bestellte daher den Wagen erst auf elf Uhr und beauftragte Pastrini, ihn sogleich benachrichtigen zu lassen, wenn Albert zurückkehrte. Um elf Uhr war dies noch nicht geschehen. Franz kleidete sich an und entfernte sich mit der Bemerkung, er würde die ganze Nacht bei dem Herzog von Bracciano, bei dem die Freunde zu einem Balle geladen waren, zubringen.
Das Haus des Herzogs von Bracciano gehörte zu den gesuchtesten Häusern Roms; die Herzogin, eine der letzten Erbinnen der Colonna, war eine der gefeiertsten Damen der ewigen Stadt, und die Feste, die der Herzog gab, hatten europäischen Ruf. Franz und Albert waren mit Empfehlungsbriefen an ihn nach Rom gekommen, er fragte deshalb Franz auch sogleich, wo sein Reisegefährte geblieben sei. Franz erwiderte dem Herzog, er habe ihn in dem Augenblick, wo man die Moccoletti ausgelöscht, verlassen und sei ihm bei der Via Macello aus dem Gesichte gekommen.
Er ist also nicht nach Hause zurückgekehrt? fragte der Herzog.
Ich erwartete ihn bis zu dieser Stunde.
Wissen Sie, wohin er gegangen ist?
Nicht genau; ich glaube jedoch, es handelt sich um ein Stelldichein.
Teufel! rief der Herzog; das ist ein übler Tag, oder vielmehr eine üble Nacht, um noch spät außen zu bleiben, nicht wahr, Frau Gräfin?
Diese Worte waren an die Gräfin G… gerichtet, die soeben erschien und am Arme des Herrn Torlonia, des Bruders des Herzogs, auf und ab ging.
Mir scheint im Gegenteil, daß es eine bezaubernde Nacht ist, entgegnete die Gräfin, und die, welche sich hier befinden, werden nur klagen, daß sie so schnell vorübergeht.
Ich spreche auch nicht von den Personen, die hier sind, versetzte der Herzog lächelnd; die Männer laufen keine andere Gefahr, als die, in Sie verliebt zu werden, die Frauen keine andere, als vor Eifersucht zu sterben, wenn sie Ihre Schönheit erschauen; ich spreche von denen, die in den Straßen der Stadt umherlaufen.
Ei! guter Gott, fragte die Gräfin, wer läuft zu dieser Stunde aus den Straßen umher, wenn nicht, um auf den Ball zu gehen?
Unser Freund Albert von Morcerf, Frau Gräfin, den ich heute abend um sieben Uhr, als er einer Unbekannten folgte, verlassen und seitdem nicht wieder gesehen habe, sagte Franz. Hat er Waffen bei sich?
Er geht in der Tracht eines Bajazzo.
Sie hätten ihn nicht sollen gehen lassen, sagte der Herzog zu Franz, Sie, der Sie Rom besser kennen, als er.
Oh! es wäre ebenso leicht gewesen, Nummer 3 der Wettrenner, die heute den Preis gewonnen hat, aufzuhalten als ihn zu hindern; und dann, was soll ihm geschehen?
Wer weiß? Die Nacht ist sehr finster, und der Tiber ganz nahe bei der Ria Macello.
Franz fühlte, wie ihm ein Schauer durch die Adern lief, als er fand, daß die Gedanken des Herzogs und der Gräfin so sehr mit seiner persönlichen Unruhe im Einklang standen.
Ich habe auch im Gasthofe bemerkt, ich würde die Nacht hier zubringen, und man benachrichtigt mich, sobald er zurückkommt, versetzte Franz.
Halt, sprach der Herzog, ich glaube, es kommt hier gerade einer von meinen Dienern, der Sie sucht.
Der Herzog täuschte sich nicht, der Diener näherte sich Franz und sagte: Exzellenz, der Gastwirt von der Stadt London läßt Ihnen melden, daß Sie ein Mann mit einem Briefe des Vicomte von Morcerf bei ihm erwarte.
Warum brachte er den Brief nicht hierher?
Der Bote hat mir keine Erklärung gegeben.
Und wo ist der Bote?
Er ging sogleich wieder weg, als er mich in den Ballsaal eintreten
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