Der Graf von Monte Christo
Vorderbeinen zu gehen schienen; und mitten darunter eine Maske, die sich lüftet, oder irgend eine Astarte, die ein reizendes Gesicht zeigt, von dem man aber, wenn man ihm folgen will, durch Dämonen getrennt wird, wie man sie nur in seinen Träumen sieht; – man versuche, sich das alles vereinigt vorzustellen, und man hat einen schwachen Begriff von dem, was der Karneval in Rom ist.
Bei der zweiten Fahrt ließ der Graf den Wagen halten, bat die Freunde um Erlaubnis, sie verlassen zu dürfen, und stellte die Kalesche zu ihrer Verfügung. Man befand sich vor dem Palaste Rospoli, und an dem mittleren Fenster, woran der weiße Damastvorhang mit einem roten Kreuz angebracht war, stand ein Domino, unter dem sich Franzens Einbildungskraft ohne Mühe die schöne Griechin des Teatro Argentina vorstellte.
Meine Herren, sagte der Graf, aus dem Wagen springend, sind Sie müde, Schauspieler zu sein, und wollen Sie wieder Zuschauer werden, so wissen Sie, daß Sie Platz an meinen Fenstern haben; inzwischen verfügen Sie über meinen Kutscher, meinen Wagen und meine Bedienten.
Franz dankte dem Grafen für sein höfliches Anerbieten. Die Freunde fuhren davon, nutzten das lustige Karnevalsfest noch gehörig aus und amüsierten sich bis zum späten Abend, um wiederum das Theater zu besuchen.
Im Foyer trafen sie mit der Gräfin zusammen, die ihnen mit allen Zeichen der Ungeduld entgegenkam und Franz hastig fragte: Ich hörte, daß Sie bereits heute mit ihm in Beziehung traten. Wie heißt er? Sprechen Sie, ich muß näheres über ihn erfahren.
Lächelnd verbeugte sich Franz und erwiderte der schönen Frau: Allerdings habe ich schon seit heute morgen bei einem vorzüglichen Frühstück die Bekanntschaft des Grafen von Monte Christo gemacht.
Was für ein Name ist dies? Ich kenne das Geschlecht nicht.
Es ist der Name einer Insel, die er gekauft hat.
Und er ist Graf?
Toskanischer Graf.
So werden wir ihn dulden wie die andern, sagte die Gräfin, die einer der ältesten Familien aus Venetien angehörte. Und was für ein Mann ist er im übrigen? wandte sich die Gräfin an den Vicomte von Morcerf.
Oh, uns gefällt er ausgezeichnet, antwortete Albert; ein zehnjähriger Freund hätte nicht mehr für uns getan, als er, und dies mit einer Anmut, einer Zartheit, einer Höflichkeit, worin sich der wahre Weltmann offenbart.
Gehen Sie, versetzte die Gräfin lachend. Sie werden sehen, mein Vampir ist nichts als ein plötzlich reichgewordener Emporkömmling, der für seine Millionen Verzeihung sucht. Und sie haben Sie auch gesehen?
Welche sie? fragte Franz lächelnd.
Die schöne Griechin von gestern.
Nein. Wir hörten, wie ich glaube, den Ton ihrer Zither, doch sie blieb völlig unsichtbar.
Das heißt, wenn Sie unsichtbar sagen, mein lieber Franz, unterbrach Albert, so geschieht dies nur, um den Geheimnisvollen zu spielen. Für wen halten Sie den blauen Domino, der an dem mittleren Fenster mit dem weißen Damastvorhang im Palaste Rospoli stand? – Der Graf hatte also drei Fenster im Palaste Rospoli? Dieser Mensch muß ein wahrer Nabob sein. Wissen Sie, daß drei solche Fenster für acht Karnevalstage 2-3000 römische Taler kosten? Ah, Teufel! – Bezieht er diese Einkünfte von seiner Insel? – Seine Insel trägt ihm keinen Heller ein. – Warum hat er sie dann gekauft? – Aus Phantasie. – Er ist also ein Original? – Ich kann es nicht leugnen, er kam mir sehr exzentrisch vor, sagte Albert.
Es war Zeit geworden, sich zu verabschieden, und die beiden Freunde verließen die Gräfin. Die nächsten Tage vergingen im Taumel der Vergnügungen, und endlich kam der Dienstag, der letzte und lärmendste von den Karnevalstagen. Am Dienstag öffneten sich die Theater um zehn Uhr morgens, denn sobald acht Uhr abends vorüber ist, beginnt die Fastenzeit. Am Dienstag mischt sich alles, was aus Mangel an Zeit, Geld oder Begeisterung an den vorhergehenden Festen nicht teilgenommen hat, in das Bacchanal, läßt sich von der Orgie fortreißen und bringt seinen Tribut an Leben und Lärm zu der allgemeinen Tollheit. Von zwei Uhr bis fünf Uhr folgten Franz und Albert der Reihe, tauschten Hände voll Confetti mit den Wagen der entgegengesetzten Reihe und den Fußgängern aus, die zwischen den Füßen der Pferde, zwischen den Rädern der Karrossen umherschwärmten, ohne daß mitten unter diesem furchtbaren Gedränge ein Unfall geschah oder irgend ein Streit entstand. Die Italiener bilden in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Die Feste sind für sie wahre
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