Der Graf von Monte Christo
begriff, daß Frau Danglars' Besuch zu Ende war.
Eine Minute nachher erschien Valentine wirklich wieder allein. Aus Furcht, ein neugieriger Blick könne ihr folgen, kam sie langsam; und statt unmittelbar auf das Gitter zuzuschreiten, setzte sie sich auf eine Bank, während sie scheinbar absichtslos jedes Gebüsch untersuchte und das Auge in die Tiefe der Allee hinabsandte. Nach diesen Vorsichtsmaßregeln lief sie zu dem Gitter.
Guten Morgen, Valentine, sagte eine Stimme.
Guten Morgen Maximilian; ich ließ Sie warten, aber Sie haben wohl die Ursache gesehen?
Ja, ich erkannte Fräulein Danglars; doch ich glaubte nicht, daß Sie in so enger Verbindung mit dieser Dame ständen.
Wir plauderten miteinander, und sie gestand mir ihren Widerwillen gegen eine Verbindung mit Herrn von Morcerf, und ich gestand ihr, daß ich es als ein Unglück betrachte, Herrn d'Epinay heiraten zu sollen.
Teure Valentine!
Deshalb, mein Freund, sahen Sie diese scheinbare Harmonie zwischen mir und Eugenie! Während ich aber von dem Manne sprach, den ich nicht lieben kann, dachte ich an den Mann, den ich liebe.
Sie sind gut in allen Dingen, Sie haben etwas an sich, was Fräulein Danglars nie haben wird: den unerklärlichen Zauber, der bei der Frau das ist, was der Wohlgeruch bei der Blume, der Wohlgeschmack bei der Frucht; denn bei der Blume wie bei der Frucht ist mit der Schönheit nicht alles getan.
Ihre Liebe läßt Sie mich so anschauen!
Nein, Valentine, das schwöre ich Ihnen. Ich betrachtete Sie beide vorhin, und bei meiner Ehre, während ich der Schönheit Fräulein Danglars' Gerechtigkeit widerfahren ließ, begriff ich doch nicht, wie sich ein Mann in sie verlieben könnte – doch gestatten Sie eine Frage der bloßen Neugierde: Liebt Fräulein Danglars einen andern, daß sie sich einer Verheiratung mit Herrn von Morcerf scheut?
Sie sagte mir, sie liebe niemand, sagte Valentine; sie verabscheue die Ehe; ihre größte Freude wäre es gewesen, ein freies und unabhängiges Leben zu führen, und sie wünschte beinahe, ihr Vater möchte sein Vermögen verlieren, daß sie wie ihre Freundin, Fräulein Luise d'Armilly, Künstlerin werden könnte.
Ah, das ist interessant, doch ich wollte Ihnen sagen, daß ich kürzlich Herrn von Morcerf getroffen habe. Franz ist sein Freund, wie Sie wissen; er kündigte mir seine nahe bevorstehende Rückkehr an.
Valentine erbleichte und hielt sich am Gitter.
Ah, mein Gott! sagte sie, wenn dies so wäre! Frau von Villefort ließ mich vorhin wissen, ich sollte in zehn Minuten bei ihr sein; sie habe mir eine für mich äußerst wichtige Nachricht mitzuteilen. Ob Sie wohl diese Nachricht meint? Doch nein, diese Mitteilung käme nicht von Frau von Villefort.
Warum nicht?
Warum ... ich weiß es nicht ... doch es scheint mir, wenn sich Frau von Villefort auch nicht offen widersetzt, so ist sie doch nicht für diese Heirat eingenommen.
Ah! Valentine, ich glaube, ich werde Frau von Villefort anbeten.
Oh! nicht zu eilig, Maximilian, sagte Valentine mit einem traurigen Lächeln.
Wenn sie aber gegen diese Heirat aus irgend einem Grunde eingenommen ist, würde ihr Ohr nicht vielleicht für einen andern Antrag offen sein?
Glauben Sie dies nicht, Maximilian! Nicht die Ehesucher verwirft Frau von Villefort, sondern die Ehe.
Wie, die Ehe? Wenn sie die Ehe so sehr haßt, warum hat sie sich verheiratet?
Sie verstehen mich nicht, Maximilian. Als ich vor einem Jahre den Gedanken äußerte, mich in ein Kloster zurückzuziehen, nahm sie trotz der Bemerkungen, die sie dagegen machen zu müssen glaubte, meinen Vorschlag mit Freuden an, und ich bin fest überzeugt, auch mein Vater gab auf ihren Antrieb seine Einwilligung dazu; nur mein armer Großvater hielt mich zurück. Sie können sich nicht vorstellen, Maximilian, welcher Ausdruck in den Augen dieses armen Greises liegt, der nur mich allein in der Welt liebt und, Gott verzeihe mir, wenn dies eine Lästerung ist, nur von mir allein in der Welt geliebt wird. Wenn Sie wüßten, wie er mich anschaute, wieviel Vorwurf in diesem Blicke, wieviel Verzweiflung in diesen Tränen lag, die ohne Klagen, ohne Seufzer an seinen unbeweglichen Wangen herabrollten! Ah, Maximilian, ich fühlte etwas wie einen Gewissensbiß, warf mich ihm zu Füßen und rief: Verzeihung! Verzeihung! mein Vater, man mag mit mir machen, was man will, ich werde Sie nie verlassen. Dann schlug er die Augen zum Himmel auf! Maximilian, ich kann viel erdulden; dieser Blick meines guten, alten Großvaters hat
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