Der Graf von Monte Christo
Valentine, ich gewann fünftausend Franken. Wir trennten uns um Mitternacht. Ich konnte mich nicht halten, nahm einen Wagen und ließ mich zu meinem Pferdehändler führen. Ich stürzte durch die Tür, trat in den Stall und schaute nach der Raufe. Oh Glück! Medea knaupelte an ihrem Haber. Ich ergreife einen Sattel, befestige ihn selbst auf dem Rücken, lege den Zaum an, und Medea zeigt sich mit meinem Tun durchaus einverstanden. Dann händige ich dem erstaunten Kaufmann die 4500 Franken ein und reite die ganze Nacht auf den Champs-Elysées spazieren. Ich sah Licht an den Fenstern des Grafen, und es kam mir sogar vor, als erblickte ich seinen Schatten hinter den Vorhängen. Nun wollte ich schwören, Valentine, der Graf wußte, daß ich dieses Pferd wünschte, und verlor absichtlich, um mich gewinnen zu lassen.
Mein lieber Maximilian, Sie sind in der Tat zu phantastisch ... und werden mich nicht lange lieben ... ein Mann, der so poetische Anschauungen hat, wird eine eintönige Liebe wie die unsrige bald satt bekommen. Doch hören Sie, großer Gott, man ruft mich.
Oh! Valentine, durch die kleine Öffnung des Verschlags Ihren kleinsten Finger ... daß ich ihn küssen kann.
Maximilian, wir sagten, wir wollten füreinander nichts als zwei Stimmen, zwei Schatten bleiben.
Nach Ihrem Belieben, Valentine.
Werden Sie glücklich sein, wenn ich tue, was Sie wollen?
Ganz gewiß!
Valentine stieg auf eine Bank und streckte, nicht ihren kleinen Finger durch die Öffnung, sondern ihre ganze Hand über den Verschlag.
Maximilian stieß einen Schrei aus, sprang auf einen Stein, ergriff die teure Hand und drückte seine glühenden Lippen darauf; doch sogleich entschlüpfte die Hand wieder der seinigen, und der junge Mann hörte Valentine, die vielleicht über die Empfindung erschrocken war, die sich ihrer bemächtigt hatte, rasch entfliehen.
Noirtier von Villefort.
Während der eben mitgeteilten Unterredung zwischen Valentine und Maximilian trug sich im Hause des Staatsanwalts folgendes zu. Herr von Villefort trat mit Frau von Villefort bei dem Vater des ersteren ein. Beide setzten sich an die Seite des Greises, nachdem sie ihn begrüßt und Barrois, einen alten Diener, der schon 25 Jahre in seinem Dienste stand, weggeschickt hatten.
Herr Noirtier saß in seinem großen Rollstuhle, auf den man ihn jeden Morgen setzte, einem Spiegel gegenüber, in dem das ganze Zimmer sichtbar war und der dem Greise, ohne daß er eine Bewegung machte, zeigte, wer in sein Zimmer eintrat, wer es verließ und was man um ihn her machte. Unbeweglich wie ein Leichnam, schaute Herr Noirtier mit gescheiten, lebhaften Augen seine Kinder an, deren umständliche Begrüßung ihm irgend einen feierlichen und unerwarteten Schritt verkündigte.
Das Gesicht und das Gehör waren noch die einzigen Sinne, die wie zwei Funken dieses bereits zu drei Vierteln dem Grabe angehörige menschliche Gebilde belebten; und von diesen zwei Sinnen vermochte nur einer nach außen das innere Leben des starren Körpers zu enthüllen, das Auge. Und dieses Auge, welches das innere Leben offenbarte, war einem von jenen fernen Lichtern ähnlich, die in finsterer Nacht dem in der Wüste verirrten Reisenden anzeigen, daß es noch ein Wesen gibt, welches in dieser Stille und in dieser Dunkelheit wacht.
In dem schwarzen Auge des alten Noirtier, das eine schwarze Braue überragte, während all sein Haar, das er lang und auf die Schultern herabhängend trug, weiß war, – in diesem Auge waren die ganze Tätigkeit, die ganze Gewandtheit, die ganze Kraft, der ganze Verstand, die einst in diesem Körper und in diesem Geiste weilten, nunmehr konzentriert. Fehlten auch die Bewegungen des Armes, die Gebärden des Antlitzes, der Ton der Stimme, die Haltung des Körpers, dieses mächtige Auge ersetzte alles; er befahl mit den Augen, er dankte mit den Augen; es war ein Leichnam mit lebendigen Augen, und nichts war ergreifender anzuschauen, als wenn sich zuweilen in diesem Marmorgesichte ein Zorn entzündete oder eine Freude glänzte. Nur drei Personen verstanden die Sprache des armen Gelähmten: Villefort, Valentine und der alte Diener. Da jedoch Villefort nur selten und eigentlich nur, wenn er es nicht umgehen konnte, seinen Vater sah, so beruhte das ganze Glück des Greises auf seiner Enkelin, und Valentine war durch Ergebenheit, Liebe und Geduld dahin gelangt, daß sie alle Gedanken Noirtiers von seinen Augen ablas. Auf seine stumme, für jeden andern unverständliche Sprache antwortete
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