Der Graf von Monte Christo
mich zum voraus für das belohnt, was ich leiden werde.
Teure Valentine! Sie sind ein Engel.
Hören Sie weiter! Ich habe als Erbteil von meiner Mutter gegen 50 000 Franken Rente; mein Großvater und meine Großmutter, der Marquis und die Marquise von Saint-Meran, müssen mir ebensoviel hinterlassen; Herr Noirtier hat offenbar die Absicht, mich zu seiner einzigen Erbin einzusetzen. Daraus geht hervor, daß mein Bruder Eduard im Vergleiche mit mir, da er kein Vermögen von Frau von Villefort zu erwarten hat, arm ist. Frau von Villefort aber liebt dieses Kind, und hätte ich den Schleier genommen, so wäre mein ganzes Vermögen von meinem Vater, der alles von dem Marquis, der Marquise und mir erbte, ihrem Sohne zugekommen.
Oh, wie sonderbar ist eine solche Habgier bei einer jungen und hübschen Frau!
Bemerken Sie wohl, daß sie nicht für sich, sondern für ihren Sohn danach trachtet, und daß das, was Sie ihr als einen Fehler vorwerfen, aus dem Gesichtspunkte der mütterlichen Liebe betrachtet, fast eine Tugend ist.
Wie wäre es aber, Valentine, wenn Sie einen Teil Ihres Vermögens diesem Sohne abtreten wollten?
Aber wie einen solchen Vorschlag machen, und besonders einer Frau gegenüber, die beständig das Wort Uneigennützigkeit auf der Zunge führt?
Valentine, meine Liebe ist mir stets heilig geblieben, und wie jede heilige Sache, habe ich sie mit dem Schleier meiner Achtung bedeckt und in meinem Herzen eingeschlossen. Niemand in der Welt, nicht einmal meine Schwester, hat eine Ahnung von dieser Liebe, Valentine, erlauben Sie mir, mit einem Freunde über diese Liebe zu sprechen?
Valentine bebte und erwiderte: Mit einem Freunde? Oh, mein Gott! Maximilian, ich zittere, wenn ich Sie nur so reden höre! Mit einem Freunde, und wer ist denn dieser Freund?
Teure Freundin, Sie kennen ihn, er hat Ihrer Stiefmutter und ihrem Sohne das Leben gerettet.
Der Graf von Monte Christo? Oh! er kann nie mein Freund sein, denn er ist zu sehr der meiner Stiefmutter.
Der Graf der Freund Ihrer Stiefmutter, Valentine? Ich bin überzeugt, daß Sie sich täuschen, sagte Maximilian.
Oh! wenn Sie wüßten, nicht Eduard regiert mehr im Hause, sondern der Graf: hochgeschätzt von Frau von Villefort, die in ihm den Inbegriff aller menschlichen Kenntnisse erblickt, bewundert von meinem Vater, der behauptet, er habe nie mit mehr Beredsamkeit erhabene Gedanken aussprechen hören, und vergöttert von Eduard, der ihm, trotz seiner Furcht vor seinen großen, schwarzen Augen, entgegenläuft, sobald er ihn kommen sieht, und ihm die Hand öffnet, wo er stets ein bewunderungswürdiges Spielzeug findet. Auf diese Art ist der Graf Monte Christo Herr in unserm Hause.
Gut, Valentine, wenn es sich so verhält, wie Sie sagen, so müssen Sie bereits die Wirkungen seiner Gegenwart fühlen oder werden sie wenigstens bald fühlen. Er trifft Albert von Morcerf in Italien, um ihn den Händen von Räubern zu entreißen; er erblickt Frau Danglars, um ihr ein königliches Geschenk zu machen; Ihre Stiefmutter und Ihr Bruder fahren vor seiner Tür vorüber, damit sein Nubier ihnen das Leben rettet. Dieser Mann besitzt offenbar die Macht, auf die Ereignisse, auf die Menschen und auf die Dinge einen Einfluß zu üben. Ich sah nie einen einfacheren Geschmack in Verbindung mit größerer Pracht. Sein Lächeln ist so süß, wenn er es mir zuwendet, daß ich vergesse, wie bitter die andern sein Lächeln finden. Oh! sagen Sie mir, Valentine, hat er Ihnen so zugelächelt? Wenn er dies getan, so werden Sie glücklich sein.
Mir! rief das junge Mädchen; oh, mein Gott! Maximilian, er schaut mich nicht einmal an, oder er wendet vielmehr das Auge ab, wenn ich zufällig in seine Nähe komme. Nein, er ist nicht edelmütig, oder er besitzt nicht den scharfen Blick, der in der Tiefe der Herzen liest und den Sie mit Unrecht bei ihm voraussetzen. Besäße er diesen Blick, so würde er gesehen haben, daß ich unglücklich bin; wäre er edelmütig, so würde er seinen Einfluß zu meinem Schutze angewendet haben, und spielte er, wie Sie sagen, die Rolle der Sonne, so hätte sich mein Herz an einem ihrer Strahlen erwärmt. Sie behaupten, er sei Ihr Freund, Maximilian; ei, mein Gott! woher wissen Sie dies?
Es ist gut, Valentine, erwiderte Morel seufzend; sprechen wir nicht mehr davon, ich werde ihm nichts sagen!
Ach! mein Freund, ich betrübe Sie. Oh, warum kann ich Ihnen nicht die Hand drücken, um mir Verzeihung von Ihnen zu erbitten! Doch mir wäre nichts lieber, als wenn ich
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