Der Graf von Monte Christo
schloß die Augen mit einer Miene des Trotzes, und als wollte er sagen: Wir wollen doch sehen, ob man es wagt, mir zu verweigern, was ich verlange.
Es wird ein Notar kommen, da Sie es durchaus so haben wollen, mein Herr; doch ich werde mich und Sie bei ihm entschuldigen, denn die Szene wird sehr lächerlich sein.
In dem Augenblick, wo Barrois wegging, schaute Noirtier Valentine mit einer herausfordernden Teilnahme an, die mehr sagte als Worte. Das Mädchen begriff diesen Blick und Villefort ebenfalls, denn seine Stirn verdüsterte sich, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er nahm einen Stuhl, setzte sich in dem Zimmer des Gelähmten fest und wartete.
Noirtier ließ ihn mit vollkommener Gleichgültigkeit gewähren, forderte aber mit einem kurzen Seitenblick Valentine auf, sich durchaus nicht zu beunruhigen und ebenfalls zu bleiben.
Drei Viertelstunden nachher kam der Diener mit dem Notar zurück.
Mein Herr, sagte Villefort nach den ersten Begrüßungen, Sie sind von Herrn Noirtier von Villefort hierher berufen worden; eine allgemeine Lähmung hat ihm den Gebrauch der Glieder und der Stimme geraubt, und uns allein gelingt es mit großer Mühe, einige Fetzen seiner Gedanken aufzufassen.
Noirtier ließ mit dem Auge eine so ernste und gebieterische Mahnung an Valentine ergehen, daß Sie auf der Stelle hinzufügte: Ich, mein Herr, verstehe alles, was mein Großvater sagen will.
Es ist wahr, bestätigte Barrois, alles, durchaus alles, wie ich dem Herrn unterwegs sagte.
Erlauben Sie mir, mein Herr, und Sie, mein Fräulein, sagte der Notar, sich an Villefort und Valentine wendend, es ist dies einer von den Fällen, wo der öffentliche Beamte nicht unbedachtsam zu Werke gehen darf, ohne eine gefährliche Verantwortlichkeit zu übernehmen. Wenn ein Akt gültig sein soll, so muß der Notar notwendigerweise vor allem davon überzeugt sein, daß er den Willen dessen, der ihm denselben diktiert, genau aufgefaßt und getreu ausgelegt hat. Ich kann aber unmöglich der Billigung oder der Mißbilligung eines Klienten, der nicht spricht, sicher sein, und da mir der Gegenstand seiner Wünsche oder seines Widerstrebens infolge seiner Stummheit nicht klar dargetan werden kann, so ist meine Tätigkeit hier mehr als unnütz und wäre sogar ungesetzlich ausgeübt.
Der Notar tat einen Schritt, um sich zu entfernen. Ein unmerkliches Lächeln des Triumphes zeigte sich auf den Lippen des Staatsanwaltes. Noirtier aber schaute Valentine mit einem so schmerzlichen Ausdrucke an, daß sie sich dem Notar in den Weg stellte.
Mein Herr, sagte sie, die Sprache, welche ich mit meinem Großvater spreche, läßt sich sehr leicht erlernen; und ich will sie Ihnen in wenigen Minuten begreiflich machen. Was brauchen Sie, mein Herr, um zur vollkommenen Beruhigung Ihres Gewissens zu gelangen?
Sie fragen, was zur Gültigkeit unserer Akte nötig sei? erwiderte der Notar; die Gewißheit der Billigung oder Mißbilligung. Wenn man testieren will, kann man zwar körperlich krank, aber geistig muß man gesund sein.
Wohl, mein Herr, mit zwei Zeichen werden Sie die Gewißheit erlangen, daß sich mein Großvater nie mehr, als jetzt, der Fülle seines Verstandes erfreut. Der Stimme und der Beweglichkeit der Gliedmaßen beraubt, schließt Herr Noirtier die Augen, wenn er ja sagen will, und blinzelt wiederholt, wenn er nein sagen will. Sie wissen nun genug, um mit Herrn Noirtier zu sprechen; versuchen Sie es!
Der Blick, den der Greis Valentine zuwarf, war so voll Zärtlichkeit und Dankbarkeit, daß ihn selbst der Notar begriff.
Sie haben gehört und verstanden, mein Herr, was Ihre Enkelin soeben sagte? fragte der Notar.
Noirtier schloß sacht die Augen und öffnete sie dann bald wieder.
Und Sie billigen, was sie sagte, nämlich, daß die von ihr angegebenen Zeichen wirklich die sind, mit deren Hilfe Sie Ihre Gedanken begreiflich machen?
Ja, machte der Greis.
Sie ließen mich rufen, um Ihr Testament zu machen?
Ja.
Und ich soll mich nicht entfernen, ohne dieses Testament gemacht zu haben?
Der Gelähmte blinzelte lebhaft und wiederholt mit den Augen.
Begreifen Sie nun, fragte das Mädchen, und ist Ihr Gewissen beruhigt?
Doch ehe der Notar antworten konnte, zog ihn Villefort beiseite und sagte zu ihm: Mein Herr, glauben Sie, daß ein Mensch ungestraft einen so furchtbaren körperlichen Schlag, wie ihn Herr Noirtier von Villefort erfahren hat, ertragen könne, ohne daß sein Geist ebenfalls bedenklich angegriffen sein muß.
Das beunruhigt mich nicht
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