Der Graf von Monte Christo
Unruhe zu verbergen.
Aber was wollen Sie denn tun? fragte sie.
Ich werde die Ehre haben, Ihnen Lebewohl zu sagen, mein Fräulein, und wünsche Ihnen ein so ruhiges, so glückliches Leben, daß nicht einmal Platz darin ist für das Andenken an mich.
Oh! murmelte Valentine.
Gott befohlen, Valentine, leben Sie wohl! sagte Morel, sich verbeugend.
Wohin gehen Sie? rief Valentine, ihre Hand durch das Gitter ausstreckend und Maximilian am Rock fassend, indem sie aus ihrer eigenen inneren Aufregung schloß, daß die Ruhe ihres Geliebten nicht wahr sein konnte; wohin gehen Sie?
Ich will mich bemühen, keine neue Störung in Ihre Familie zu bringen und ein Beispiel geben für alle ehrlichen und ergebenen Menschen in meiner Lage.
Ehe Sie mich verlassen, sagen Sie mir, was Sie zu tun gedenken, Maximilian.
Der junge Mann lächelte traurig.
Oh! sprechen Sie, sprechen Sie, ich bitte Sie!
Hat sich Ihr Entschluß geändert, Valentine?
Er kann sich leider nicht ändern! Sie wissen das wohl? rief das junge Mädchen.
Also Gott befohlen, Valentine.
Valentine rüttelte am Gitter mit einer Kraft, deren man sie nicht hätte fähig halten sollen, und als Morel sich entfernte, streckte sie ihre Hände hindurch, rang sie und rief: Was werden Sie tun? Ich will es wissen, wohin gehen Sie?
Oh! seien Sie unbesorgt, sagte Maximilian, drei Schritte von der Türe still stehend, es ist nicht meine Absicht, einen andern Menschen für die Strenge verantwortlich zu machen, die das Schicksal gegen mich übt. Ein anderer würde Ihnen drohen, er werde Herrn Franz aufsuchen, ihn herausfordern, um sich mit ihm zu schlagen. Das alles wäre wahnsinnig. Was hat Franz mit dieser ganzen Geschichte zu tun? Er hat mich heute morgen zum ersten Male gesehen, er hat bereits vergessen, daß er mich gesehen; er wußte nicht einmal, daß ich lebte, als Ihre beiden Familien übereinkamen, daß Sie einander gehören sollten. Ich habe es also nicht mit ihm zu tun und schwöre Ihnen, daß ich mich durchaus nicht an ihn halten werde.
An wen wollen Sie sich dann halten? An mich?
An Sie, Valentine! Oh, Gott soll mich bewahren! Die Frau ist geheiligt, die Frau, die man liebt, ist heilig.
Also an Ihre eigene Person, Unglücklicher!
Nicht wahr, ich bin der Schuldige?
Maximilian, Maximilian, kommen Sie hierher, ich will es haben! rief Valentine.
Maximilian näherte sich mit sanftem Lächeln, und, abgesehen von seiner Blässe, hätte man glauben können, er befinde sich in seinem gewöhnlichen Zustande.
Hören Sie mich, meine liebe, meine angebetete Valentine, sagte er mit seiner wohlklingenden, ernsten Stimme, Leute wie wir, die nie einen Gedanken gehegt haben, worüber sie hätten vor der Welt, vor ihren Eltern, oder vor Gott erröten müssen; Leute wie wir können einander im Herzen lesen, wie in einem offenen Buche. Ich habe nie einen Roman gespielt, ich bin nie ein schwermütiger Held gewesen, ich trete nicht als Manfred oder als Antonius auf; doch ohne Worte, ohne Beteuerungen, ohne Schwüre hatte ich mein Leben auf Sie gesetzt; Sie tun nicht das gleiche; und Sie haben recht, so zu handeln, das habe ich Ihnen gesagt und wiederhole es. Aber Sie gänzlich verlieren, kostet mich das Leben. Sobald Sie sich von mir entfernen, Valentine, bleibe ich allein auf der Welt. Meine Schwester ist glücklich bei ihrem Gatten; niemand bedarf also auf Erden meines unnütz gewordenen Daseins. Hören Sie, was ich tun werde: ich warte bis zur letzten Sekunde Ihrer Verheiratung, denn ich will keinen Schatten von Hoffnung verlieren, den mir ein unerwarteter Zwischenfall bringen könnte ... Herr Franz d'Epinay kann bis dahin sterben, in dem Augenblick, wo Sie sich dem Altar nähern, kann der Blitz ihn treffen ... Alles scheint dem zum Tode Verurteilten glaublich, und die Wunder kehren für ihn in den Bereich des Möglichen zurück, sobald es sich um die Rettung seines Lebens handelt. Ich werde also bis zum letzten Augenblick warten, sage ich, und erst, wenn mein Unglück gewiß, unwiderruflich, ohne Hoffnung ist, schreibe ich einen vertraulichen Brief an meinen Schwager, einen andern an den Polizeipräfekten, um ihnen von meinem Vorhaben Nachricht zu geben, und zerschmettere mir in irgend einem versteckten Winkel die Hirnschale, so wahr ich der Sohn des ehrlichsten Mannes bin, der je in Frankreich gelebt hat!
Ein krampfhaftes Zittern schüttelte Valentines Glieder. Sie ließ das Gitter los, das sie mit beiden Händen hielt, ihre Arme fielen an ihrer Seite herab, und zwei schwere
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