Der Graf von Monte Christo
täuschen können.
Allerdings kann ich dies, doch ich glaube es nicht.
Doktor, haben Sie Mitleid mit mir, seit einigen Tagen begegnen mir so unerhörte Dinge, daß es mir vorkommt, als müßte ich ein Narr werden.
Hat noch jemand außer mir Frau von Saint-Meran gesehen?
Niemand.
Hat man bei dem Apotheker eine Arznei holen lassen, die nicht von mir verordnet worden ist?
Nein.
Hatte Frau von Saint-Meran Feinde?
Ich kenne keine.
Hatte jemand ein Interesse an ihrem Tode?
Mein Gott! Nein; meine Tochter ist ihre einzige Erbin, Valentine allein ... Oh! wenn mir ein solcher Gedanke käme, ... ich würde mich erdolchen, um mein Herz zu bestrafen, daß es einen solchen Gedanken hatte hegen können.
Oh, teurer Freund! rief Herr d'Avrigny, Gott verhüte, daß ich irgend jemand anklage; verstehen Sie wohl, ich spreche nur von einem Zufall, von einem Irrtum. Doch Zufall oder Irrtum, es ist eine Tatsache, die ganz leise zu meinem Gewissen spricht und verlangt, daß mein Gewissen ganz laut mit Ihnen spreche. Forschen Sie nach!
Bei wem? wie? worüber?
Hören Sie! Sollte sich nicht Barrois, der alte Diener, getäuscht und der Frau von Saint-Meran irgend einen Trank gegeben haben, der für seinen Herrn bestimmt war?
Wie könnte denn ein für Herrn Noirtier bereiteter Trank Frau von Saint-Meran vergiften?
Das ist ganz einfach; Sie wissen, daß bei einzelnen Krankheiten die Gifte als Heilmittel dienen; die Lähmung ist eine dieser Krankheiten. Vor ungefähr drei Monaten entschloß ich mich, nachdem ich alles angewendet hatte, um Herrn Noirtier Stimme und Bewegung wiederzugeben, ein letztes Mittel zu versuchen; seit drei Monaten behandle ich ihn mit Brucin; so waren in dem letzten Tranke, den ich ihm verschrieb, sechs Zentigramm enthalten. Sechs Zentigramm ohne Wirkung auf die gelähmten Organe des Herrn Noirtier, an die er sich überdies durch stufenweise Dosen gewöhnt hatte, sechs Zentigramm genügen, um jede andere Person zu töten.
Mein lieber Doktor, es besteht keine Verbindung zwischen der Wohnung des Herrn Noirtier und der der Frau von Saint-Meran, und nie ist Barrois in das Zimmer meiner Schwiegermutter gekommen. Schließlich muß ich Ihnen auch sagen, Doktor, obgleich ich weiß, daß Sie der geschickteste und besonders der gewissenhafteste Mann von der Welt sind, obgleich unter allen Umständen Ihr Wort für mich eine Fackel ist, die mich leitet, wie das Licht der Sonne, – so ist es doch, trotz dieser Überzeugung, für mich ein Bedürfnis, mich auf den Satz: Irren ist menschlich, zu stützen.
Hören Sie, Villefort, sagte der Doktor, gibt es einen von meinen Kollegen, zu dem Sie so viel Zutrauen haben, wie zu mir?
Warum? Was wollen Sie damit sagen?
Rufen Sie ihn, ich teile ihm mit, was ich gesehen, was ich wahrgenommen habe, und wir nehmen die Öffnung der Leiche vor.
Und Sie werden die Spuren des Giftes finden?
Nein, nicht des Giftes, ich habe das nicht gesagt, sondern wir werden die Reizung des Systems bestätigt finden, die unleugbare Asphyxie erkennen und Ihnen sagen, lieber Villefort: Liegt Nachlässigkeit zu Grunde, so bewachen Sie Ihre Dienerschaft, – geschah die Tat aus Haß, so bewachen Sie Ihre Feinde.
Oh, mein Gott! was schlagen Sie mir da vor, d'Avrigny? entgegnete Villefort ganz niedergebeugt. Sobald ein anderer in das Geheimnis gezogen ist, wird eine Untersuchung notwendig, und eine Untersuchung bei mir, unmöglich! Dennoch, fuhr der Staatsanwalt, den Arzt unruhig anschauend, fort, dennoch, wenn Sie es durchaus verlangen, werde ich es tun. Ich muß in der Tat wohl der Sache auf den Grund gehen, mein Charakter heischt es. Doch Sie sehen mich zum voraus von Traurigkeit erfüllt, Doktor, auf mein Haus nach so vielen Schmerzen diesen Flecken zu werfen! Oh! für meine Frau und meine Tochter ist das der Tod; und ich, Doktor, Sie wissen, ein Mann gelangt nicht dahin, wo ich bin, ein Mann ist nicht fünfundzwanzig Jahre Staatsanwalt gewesen, ohne sich viele Feinde zuzuziehen; die Zahl der meinigen ist groß.. Wird diese Geschichte ruchbar, so ist das ein Triumph für diese Feinde, der sie vor Freuden jubeln läßt und mich mit Schmach bedeckt. Doktor, verzeihen Sie mir diese weltlichen Gedanken. Wenn Sie Priester wären, würde ich, es nicht wagen, Ihnen dies zu sagen; aber Sie sind ein Mensch, Sie kennen die anderen Menschen; Doktor, nicht wahr, Sie haben mir nichts gesagt?
Mein lieber Herr von Villefort, antwortete der Doktor erschüttert, meine erste Pflicht ist Menschlichkeit. Ich hätte Frau
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