Der Graf von Monte Christo
rasch, unzusammenhängend, unverständlich, so sehr preßte ihr der brennende Schmerz die Kehle zusammen. Der Mond, der durch die Öffnung der Vorhänge glitt, ließ den Schein der Kerze erbleichen und übergoß mit seiner fahlen Farbe dieses trostlose Bild.
Morel konnte dem Schauspiel nicht widerstehen, er war von keiner musterhaften Frömmigkeit und auch nicht so leicht empfänglich für gewöhnliche Eindrücke, aber Valentine weinend, leidend, vor seinen Augen die Hände ringend ... das vermochte er nicht still zu ertragen. Er stieß einen Seufzer aus, flüsterte einen Namen, und der in Tränen gebadete, marmorbleiche Kopf hob sich empor und wandte sich ihm zu.
Valentine erblickte ihn und zeigte kein Erstaunen. In einem von der höchsten Verzweiflung erfüllten Gemüte ist kein Raum für geringere Regungen. Morel reichte seiner Freundin die Hand. Statt jeder Entschuldigung, warum sie ihn nicht aufgesucht, deutete sie auf den unter dem weißen Tuche liegenden Leichnam und fing wieder an zu schluchzen.
Keines von ihnen wagte im ersten Augenblick, in diesem Zimmer zu reden. Jedes zögerte, das Stillschweigen zu brechen, das der Tod, der mit dem Finger auf den Lippen irgendwo im Winkel stand, aufzuerlegen schien.
Valentine wagte es zuerst und sagte: Freund, wie bist du hierher gekommen? Ach! ich würde dir sagen: Sei willkommen, wenn dir nicht der Tod die Tür dieses Hauses geöffnet hätte.
Valentine, erwiderte Morel mit zitternder Stimme und gefalteten Händen, ich war seit halb neun Uhr da; ich sah dich nicht kommen; die Unruhe erfaßte mich, ich sprang über die Mauer, drang in den Garten und hörte Stimmen, die über das unselige Ereignis sprachen.
Was für Stimmen? fragte Valentine.
Morel bebte, denn die Unterredung des Herrn d'Avrigny mit Herrn von Villefort trat vor seinen Geist, und er glaubte durch das Leichentuch die gekrümmten Arme, den steifen Hals, die blauen Lippen der Vergifteten zu sehen.
Die Stimmen Ihrer Bedienten haben mich von allem unterrichtet, sagte er.
Doch hier erscheinen, heißt uns zu Grunde richten, mein Freund, versetzte Valentine ohne Schreck und ohne Zorn.
Vergib mir, sagte Morel mit demselben Tone, ich will mich entfernen.
Nein, man würde dir begegnen, bleibe.
Doch wenn man käme? ...
Das Mädchen schüttelte den Kopf und entgegnete: Es wird niemand kommen, sei unbesorgt, hier ist unsere Schutzwache. Und sie deutete auf die durch das Tuch sich abdrückende Form des Leichnams.
Doch, ich bitte dich, sage mir, was ist mit Herrn d'Epinay geschehen? fragte Morel.
Herr Franz kam, um den Vertrag zu unterzeichnen, gerade in dem Augenblick, wo meine gute Großmutter den letzten Seufzer aushauchte.
Ach! rief Morel mit einem Gefühle selbstsüchtiger Freude, denn er bedachte, daß dieser Tod Valentines Verheiratung auf unbestimmte Zeit verzögerte.
Doch was meinen Schmerz verdoppelt, fuhr das Mädchen fort, als sollte dieses Gefühl auf der Stelle seine Strafe erhalten, ist der Umstand, daß meine gute Großmutter sterbend befohlen hat, diese Heirat sobald als möglich zu vollziehen. Mein Gott! im Glauben, mich zu beschützen, handelte auch sie gegen mich.
Hörst du! sagte Morel.
Die jungen Leute schwiegen.
Man hörte, wie eine Tür sich öffnete und Tritte den Boden des Ganges und die Stufen der Treppe krachen ließen.
Es ist mein Vater, der sein Kabinett verläßt, sagte Valentine.
Und den Doktor zurückbegleitet, fügte Morel bei.
Woher weißt du, daß es der Doktor ist? fragte Valentine erstaunt.
Ich setze es voraus, sprach Morel.
Valentine schaute den jungen Mann an.
Man hörte indessen, daß die Tür, die auf die Straße führte, wieder zugeschlossen wurde. Herr von Villefort drehte den Schlüssel auch in der Tür zum Garten um und stieg dann die Treppe hinauf.
Im Vorzimmer blieb er einen Augenblick stehen, ohne Zweifel überlegend, ob er in seine Wohnung oder in das Zimmer der Frau von Saint-Meran gehen sollte; Morel warf sich hinter einen Türvorhang. Valentine machte keine Bewegung; es schien, als sei der höchste Schmerz über gewöhnliche Befürchtungen erhaben.
Herr von Villefort kehrte in sein Zimmer zurück.
Nun kannst du weder mehr in den Garten, noch nach der Straße hinaus.
Morel schaute das Mädchen voll Erstaunen an.
Es gibt nur noch einen erlaubten und sichern Ausgang, nämlich durch die Wohnung meines Großvaters. Komm, komm, sagte sie aufstehend.
Wohin? fragte Maximilian.
Zu meinem Großvater.
Ich, zu Herrn Noirtier?
Ja.
Bedenkst du
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