Der Graf von Monte Christo
Kammer der Ansicht, daß diese Untersuchung noch heute statthaben soll?
Ja! lautete die einstimmige Antwort der Versammlung.
Man ernannte eine Kommission von zwölf Mitgliedern, welche die von Morcerf zu liefernden Beweisstücke untersuchen sollte. Die Stunde der ersten Sitzung dieser Kommission wurde auf acht Uhr abends in den Büros der Kammer festgesetzt. Als diese Entscheidung gefaßt war, bat Morcerf um Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen; er mußte die Beweisstücke zusammenfassen, die er seit langer Zeit aufgehäuft, um einem unvorhergesehenen Sturme Trotz zu bieten.
Dies alles erzählte Beauchamp dem jungen Manne.
Albert hörte ihm zu, bald vor Hoffnung, bald vor Zorn, bald vor Scham zitternd, denn er fragte sich, wie es dem Schuldigen gelingen könne, seine Unschuld zu beweisen.
Als Beauchamp schwieg, fragte Albert: Und dann?
Mein Freund, dieses Wort versetzt mich in eine furchtbare Notwendigkeit. Fassen Sie Mut, Albert, nie haben Sie dessen mehr bedurft.
Albert fuhr mit der Hand über seine Stirn, als wollte er sich seiner eigenen Kraft versichern, wie ein Mensch, der sein Leben zu verteidigen sich anschickt, seinen Panzer versucht und seine Degenklinge biegt. Er fühlte sich stark, denn er hielt sein Fieber für Energie. Reden Sie, sagte er.
Es kam der Abend, fuhr Beauchamp fort, ganz Paris wartete auf den Ausgang der Sache. Viele behaupteten, Ihr Vater habe sich nur zu zeigen, um die Anklage zu Boden zu schlagen; viele sagten, er werde sich nicht einfinden, andere versicherten, sie hätten ihn nach Brüssel abreisen sehen, manche gingen sogar zur Polizei und fragten, ob es wahr sei, daß der Graf seine Pässe genommen habe.
Ich muß Ihnen gestehen, daß ich alles tat, um von einem der Mitglieder der Kommission, einem mir befreundeten jungen Pair, in die Kammer geführt zu werden. Um sieben Uhr holte er mich ab und empfahl mich, ehe jemand gekommen war, einem Saaldiener, der mich in eine Loge einschloß. Ich war durch eine Säule gedeckt und in völliger Dunkelheit und konnte hoffen, die furchtbare Szene, die sich entwickeln sollte, vom Anfang bis zum Ende zu hören und zu sehen.
Herr von Morcerf trat bei dem letzten Schlage der achten Stunde ein. Er hatte einige Papiere in der Hand, und seine Haltung schien ruhig. Gegen seine Gewohnheit war sein Gang einfach, sein Anzug würdig, und er trug nach Art alter Offiziere seinen Rock von oben bis unten zugeknöpft. Seine Erscheinung brachte die beste Wirkung hervor; die Kommission war durchaus nicht übelgesinnt, und mehrere Mitglieder gingen dem Grafen entgegen und reichten ihm die Hand.
Albert fühlte, wie sein Herz bei diesem Bericht beinahe brach, und dennoch regte sich unter seinem Schmerze ein Gefühl der Dankbarkeit; gern hätte er alle diese Menschen umarmen mögen, die seinem Vater während einer so großen Gefährdung seiner Ehre die Hand reichten.
In diesem Augenblick trat ein Diener ein und übergab dem Präsidenten einen Brief. – Sie haben das Wort, Herr von Morcerf, sagte der Präsident, den Brief entsiegelnd.
Der Graf begann seine Verteidigungsrede, und ich versichere Ihnen, Albert, fuhr Beauchamp fort, er entwickelte eine außerordentliche Beredsamkeit und Geschicklichkeit; er brachte Papiere vor, die bewiesen, daß ihn der Wesir von Janina bis zur letzten Stunde mit seinem ganzen Vertrauen beehrt und besonders mit einer Unterhandlung bei dem Sultan selbst beauftragt hatte, wobei es sich um Leben oder Tod gehandelt. Er wies den Ring vor, ein Zeichen des Oberbefehls, mit dem Ali selbst gewöhnlich seine Briefe siegelte und den er ihm gegeben, damit er bei seiner Rückkehr, zu welcher Stunde des Tages oder der Nacht es auch sei, und wäre er sogar in seinem Harem, zu ihm dringen könnte. Unglücklicherweise, sagte er, scheiterte seine Unterhandlung, und als er zurückkam, um seinen Wohltäter zu verteidigen, war er bereits tot. Doch sterbend, behauptete der Graf, habe ihm Ali Pascha, so groß sei sein Vertrauen gewesen, seine erste Favoritin und seine Tochter anvertraut.
Albert bebte bei diesen Worten; denn während Beauchamp sprach, trat ihm Haydees Erzählung vor sein geistiges Auge, und er erinnerte sich dessen, was die schöne Griechin von dieser Botschaft, von diesem Ringe und von der Art und Weise, wie sie verkauft und in die Sklaverei geführt worden war, gesagt hatte.
Und was war die Wirkung der Rede des Grafen?
Ich gestehe, daß sie mich erschütterte, und ebenso, wie mich, auch die ganze Kommission, sagte Beauchamp.
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